Die Kinder des Ketzers
begann Cristino verlegen.
«Ja?»
«Warum seid Ihr ins Kloster gegangen? War das der Wunsch Eurer Eltern?»
Sie befürchtete, Tante Beatrix würde diese Frage entrüstet zurückweisen, doch zu ihrer Überraschung lachte die nur. «Immer das gleiche im Hause Auban. Meine Mutter wurde gezwungen, einen Bürgerlichen zu heiraten, ich wurde gezwungen, ins Kloster zu gehen. – Oh nein, mein Kind. Ich bin voll und ganz aus freien Stücken Benediktinerin geworden.»
Cristino und Catarino sahen sich an. Wahrer Glaube, sagte Cristinos Blick, unglückliche Liebe der Catarinos.
«Dann seid Ihr also wirklich aus Frömmigkeit ins Kloster eingetreten», sagte Cristino beeindruckt. «Und habt alles geopfert, Euer ganzes Leben, um Gott zu dienen.» Sie seufzte tief.
«Blödsinn», sagte Tante Beatrix unwirsch.
Das war nicht gerade die Antwort, die Cristino erwartet hatte. Sie warf ihrer Tante einen erstaunten Blick zu.
«Ich bin fromm, natürlich», erklärte Beatrix. «Aber sicher nicht frommer als die meisten Frauen, sicher nicht frommer als eure Mutter und ganz bestimmt nicht frommer als Frederi.»
«Das verstehe ich nicht!» Catarino hatte die Stirn gerunzelt. «Und trotzdem habt Ihr all das aufgegeben, um Nonne zu werden?»
«All das? Was denn?» Ihre Tante lachte.
«Na – alles eben. Euer Leben als Frau. Luxus. Feste. Ihr hättet einen reichen Mann heiraten und ein glückliches Leben führen können, und stattdessen lebt Ihr in einer kahlen Zelle.»
«Mein Leben als Frau!» Tante Beatrix’ Stimme war beißend vor Ironie. «Kannst du mir verraten, was am Leben einer Frau so schön sein soll, dass man ihm nachtrauern müsste? Heiraten? Einen Mann, den ich nicht liebe, den die Eltern seines Geldes oder seiner gesellschaftlichen Stellung wegen aussuchen, dem ich gehorchen 636
muss, selbst wenn er ein Dummkopf ist, der mich behandeln darf wie den letzten Dreck, der mich sogar schlagen darf, wenn es ihm gefällt? Ein Mann, der sich abends besäuft und danach im Ehebett über mich herfällt ohne jede Rücksicht auf meine Gefühle? Und selbst wenn ich Glück habe, und er ist lieb und sanft und freundlich, vor jedem Schritt, den ich mache, jedem Wort, das ich spreche, seine Erlaubnis einholen müssen? Ein Leben, in dem Denken verboten ist, in dem es als unschicklich angesehen wird, wenn ich ein Buch aufschlage, nie mehr disputieren, philosophieren, nie mehr auf dem Weg der Erkenntnis gehen? Und dafür Kinder kriegen, Jahr für Jahr einen dicken Bauch vor sich herschieben, bis man schließlich eines Tages im Kindbett verblutet? Catarino, so leid es mir tut, an diesem Leben kann ich nichts Erstrebenswertes finden!»
Die Mädchen starrten sie an mit offenem Mund. Catarino war noch nie so sprachlos gewesen.
«Sie mich an, Catarino», sagte Tante Beatrix. «Ich bin Äbtissin. Ich stehe einem Kloster vor, leite es, vertrete es in allen Dingen. Man behandelt mich mit Respekt, meine Meinung ist gefragt, sogar unter Männern. Ich bin in der Lage, mich meinen wissenschaftlichen Studien zu widmen, der Medizin, der Erforschung der Natur, ich kann sogar wissenschaftliche Abhandlungen schreiben, ohne dass es als verwerflich angesehen wird. Catarino, nicht für allen Luxus und alle fleischlichen Genüsse dieser Welt würde ich mein Leben gegen das einer Ehefrau eintauschen!»
Die Mädchen schwiegen noch immer, völlig verdattert. Tante Beatrix seufzte. «Oh je, habe ich jetzt euer Weltbild ins Wanken gebracht? Philomenus wird mich umbringen, schätze ich.» Sie kicherte.
«Aber… aber… es ist doch auch einfach nicht der Sinn der Sache, dass Frauen sich mit Wissenschaft beschäftigen», meinte Cristino hilflos. «Das ist doch nun mal die Aufgabe der Männer. Wir Frauen haben andere Aufgaben.»
«Was für Aufgaben? Kinder zu gebären?»
Cristino nickte lahm.
«Wisst ihr, was meine Meinung dazu ist? Wenn Gott nicht gewollt hätte, dass Frauen denken, dann hätte er sich wohl nicht die Mühe gemacht, sie mit einem Kopf auszustatten. Eine Gebärmut637
ter auf Beinen hätte für seine Zwecke dann völlig genügt», sagte Beatrix. Sie lachte auf, als sie die restlos entgeisterten Gesichter ihrer Nichten sah. «Guckt nicht so dumm, ich meine es genau so, wie ich es sage», rief sie. «So, Catarino, und jetzt muss ich dich leider nach draußen bitten.»
«Waaas?», rief Catarino enttäuscht.
«Ich muss mit Cristino reden. Kurz.»
Maulend zog sich Catarino aus dem Schlafgemach zurück.
«Und?», fragte Cristino düster, kaum dass
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