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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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und ließ ihn nur allzu gerne eintreten.
    Bruder Antonius verließ soeben Cristinos Zimmer, als Alexandre de Mergoult sich über den Gang näherte, und trotz des Dämmer633
    lichts auf dem Korridor erkannte er ihn von weitem an seiner Statur und seinem Gang, und sein Atem beschleunigte sich, sein Puls pochte heftig unter seiner Haut. Es war nicht, dass er irgendetwas von Mergoults Zusammenstoß mit Loís wusste. Er fühlte es einfach. Er spürte die Gewaltbereitschaft eines Menschen wie einen körperlichen Schmerz, wieder eines der kleinen Überbleibsel aus Ate. Als Mergoult an ihm vorüberschritt, musste er die Hände auf seine Kutte legen, um sich sicher zu sein, dass sie da war, so nackt und hilflos fühlte er sich plötzlich.
    Die Vorstellung, dass dieser Mann jetzt zu Cristino ging, war übelkeiterregend.
    Cristino hatte sich ihrer Deprimiertheit zum Trotz sofort in ihren schönsten Morgenmantel geworfen, als Alexandre sich ankündigte, und empfing ihn adrett auf dem Diwan liegend. Mergoult war sofort Herr der Lage. Er stieß eine Anzahl von Verwünschungen gegen den Hundesohn aus, der Alessia ermordet und sie angegriffen hatte, versprach ihr, denselben zu finden und seiner schrecklichen Strafe zuzuführen, und meinte im Übrigen, es müsse etwas getan werden, sie aufzuheitern und zu zerstreuen. Eine Idee, was das sein sollte, hatte er auch mitgebracht, und schlug vor, sie in den nächsten Tagen zu einem kleinen Ausritt übers Land abzuholen. Cristino meinte schüchtern, das würde ihr Stiefvater wohl nicht erlauben, woraufhin Mergoult meinte, dieser könne sie natürlich begleiten, auf dass ihre Ehre keinen Schaden nehme, und was das Verbot Vascarviés betraf, nun, das würde er schon zu regeln wissen. Zum Abschied machte er ihr ein paar überaus artige Komplimente, so im Stil von «Ihr seid die schönste Frau auf Erden und die Sonne verblasst vor Eurem Glanz», drückte ihr einen heißen Kuss auf ihre zitternde Hand und ging mit einer tiefen, ehrerbietigen Verneigung.
    «He, der hat echt ein Auge auf dich geworfen», meinte Catarino, die zwei Sekunden, nachdem Alexandre gegangen war, den Kopf zur Tür herein steckte.
    Cristino seufzte verliebt.
    «Na, das war offensichtlich die richtige Medizin», sagte Catarino. «Bist du jetzt wieder ansprechbar?»
    634
    In diesem Moment war lautes Gezeter unten auf dem Gang zu hören, Onkel Philomenus’ Poltern, Tante Eusebias Jammern und das Fluchen von Oma Felicitas. Und über allem lag die wütende Stimme von Tante Beatrix, die rief: «Ihr werdet mich jetzt zu Cristino lassen, habt ihr verstanden?»
    ***
    Als sie so in ihrem schwarz-weißen Habit vor den Mädchen in deren Zimmer stand, fiel den beiden erneut auf, wie jung sie aussah. Jünger als Tante Eusebia, jünger auch als ihre Mutter, obwohl sie einige Jahre älter sein musste. Vielleicht war es ja doch so, wie Bruder Antonius immer behauptete, dass Schminke Falten macht. Tante Beatrix ging zum Fenster. Draußen sank die Sonne über Ais und tauchte die Carriero de Jouque in einen unirdischen Glanz. Beatrix’ Blick fiel auf die Berge von Büchern, die sich auf dem Tisch stapelten. «Wer von Euch liest denn so etwas?», fragte sie. Cristino wurde rot. Sie wusste, wie unschicklich ihre Lektüre war. «Cristino», sagte Catarino rasch.
    Tante Beatrix nahm ein Buch vom Tisch und hielt es gegen das Licht. Die Sonne warf ihren goldenen Schimmer darüber. «Der Vesalius», murmelte sie. «Die haben Pierre gehört. Ich hatte schon befürchtet, Philomenus hätte sie weggeworfen.» Sie hob den Blick und richtete ihn auf Cristino. «So etwas interessiert dich, ja?», fragte sie.
    Cristino sank in sich zusammen. «Mhm ja», murmelte sie kaum hörbar.
    «Schön!», sagte Tante Beatrix erfreut. «Sehr lobenswert!»
    Die Mädchen sahen sich an. Lobenswert fand ihre Tante das. Catarinos Blick nach zu urteilen schien sie erheblich an Beatrix’
    Verstand zu zweifeln.
    «Hübsches Zimmer», meinte Tante Beatrix mit einem Blick in die Runde.
    «Na ja… es ist ziemlich klein zu zweit.» Catarino rümpfte die Nase.
    Tante Beatrix ließ ein helles Lachen hören. «Wohnt mal wie ich zwanzig Jahre lang in einer Klosterzelle, mit einer Pritsche als Bett 635
    und einem Kreuz als einzigen Schmuck an der Wand, dann kommt euch das hier wie ein Palast vor!»
    Die beiden Mädchen sahen sich betroffen an. Nonne sein war ein hartes Los, sie hatten es ja geahnt. Arme Tante Beatrix. Das brachte sie auf die alte Frage zurück. «Tante Beatrix»,

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