Die Kinder des Ketzers
Genf Station zu machen. Calvinus hat ihm umgehend den Prozess gemacht und ihn ein paar Tage später öffentlich verbrennen lassen», sagte Beatrix ungerührt. «Im protestantischen Genf, wohlgemerkt. Es ist überall dasselbe. Menschen, die denken, leben gefährlich, egal, ob sie es mit den Protestanten oder den Katholiken zu tun haben.»
Cristino schluckte ein paar Mal heftig. «Was meinst du, was das Contagion ist?», fragte sie dann, bemüht, nicht weiter über die Geschichte um den unglücklichen Miguel Servet nachzudenken.
«Nun», Beatrix runzelte die Stirn, «Fracastoro hält es für einen lebendigen Keim, aber ich denke, am wahrscheinlichsten handelt es sich um eine Art Gift in Form einer Ausdünstung. Anders kann man ja schlecht erklären, dass manche Seuchen auch auf Menschen übertragen werden, die keinen direkten Kontakt mit Kranken hatten.»
«Aber wenn es ein Gift ist», überlegte Cristino, «müsste man sich dann nicht irgendwie davor schützen können?»
«Das hat man oft versucht», meinte ihre Tante. «Bei den großen Pestepidemien in den vergangenen Jahrhunderten haben die Ärzte regelrechte Rüstungen als Schutzanzüge getragen. Es hat nicht viel genützt.»
«Na, das ist ja wohl logisch – eine Rüstung, die eine Ausdünstung abhält, ist auch eine alberne Vorstellung!»
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«Hast du einen besseren Vorschlag?», fragte Beatrix amüsiert.
«Ich… weiß nicht. Ich werde darüber nachdenken.»
«Tu das», sagte Beatrix lächelnd. «Tu das ruhig.»
***
An jenem Tag – dem 10. Juni, um genau zu sein – brach Fabiou, der Poet und Investigator, erneut zur Universitätsbibliothek auf. Wie das letzte Mal kleidete er sich in sein bestes Gewand – eines der neuen diesmal, ein dunkelgrünes Wams mit einer grauen Hose
–, drückte sich das dazu passende Barett auf die roten Locken und betrachtete sich im Spiegel.
Es war kein kleiner Junge mehr, der ihm leicht verzerrt aus dem Spiegel entgegenblickte. Er war wahrlich in die Höhe geschossen in den letzten Wochen; er war länger, dünner, sein Gesicht schmaler, und das Gewand, das nun endgültig nicht mehr das Gewand eines Kindes, sondern das eines Mannes war, tat ein Übriges. Fabiou starrte fasziniert auf eine fremde Gestalt, die Gestalt eines mageren, sommersprossigen jungen Mannes mit leuchtenden grünen Augen. Fast hatte er das Gefühl, auf das Portrait in Omas Salon zu blicken.
Der Ritter der Kelche. Ein gutes Gefühl.
Es war helllichter Tag, die Straße belebt, und die Universität ja nur zwei Straßen entfernt. Dennoch ertappte er sich dabei, wie er sich alle paar Schritte umdrehte, seinen Blick über die gleichgültigen Gesichter streifen ließ, die an ihm vorüberzogen. Irgendwo im Moloch dieser Stadt lauerte jemand auf ihn, wie eine Spinne in ihrem Netz, und wartete auf den Moment, wo er zupacken konnte.
Das war kein gutes Gefühl.
Diesmal bewegte er sich um Längen sicherer durch die Korridore der Universität. Dem Mann am Eingang der Bibliothek schenkte er ein gleichmütiges Lächeln, während er seinen Namen in das Registraturbuch kritzelte. Dann lief er weiter, zu den Regalen. 1542-1545. Er blätterte durch die Galaud’schen Annalen. Berichte über Feierlichkeiten, über Beschlüsse des Parlaments, über Steuern und Gesetze. Berichte über Verbrechen, über Gerichts641
verhandlungen, über Hinrichtungen. Berichte über die Kirche, die Protestanten, die Inquisition. Berichte über Staatsbesuche und der Klatsch der oberen Zehntausend.
Kein einziger Bericht über die Bruderschaft.
Fabiou ließ den Kopf in die Hände sinken. Wenn das Parlament der Bruderschaft auf den Fersen gewesen war, wie Sébastien sagte, und wenn der offizielle Stadtschreiber dennoch kein Wort über die Bruderschaft verlor, dann konnte das seiner Erfahrung zufolge eigentlich nur eines bedeuten: das Parlament wollte nicht, dass Worte darüber verloren wurden.
Es waren Adlige. Keine armseligen Strauchdiebe wie ein Joan lou Pastre oder ein Enri Nicoulau. Adlige, die sich gegen die herrschende Ordnung auflehnten. Die sie ins Gegenteil verkehren wollten. Das Recht über die Macht, der Arme, der Ketzer, der verfolgte Leibeigene über die Gier des Edelmanns und die Interessen der Herrschenden. Es war ein Skandal. Man versuchte, ihn zu ignorieren, ihn totzuschweigen, späteren Generationen ja keinen Anstoß
zu geben, in dieselbe Richtung zu denken. Und man versuchte, den Stein des Anstoßes zu beseitigen. Vermutlich ebenso diskret. Niemand tötet ungestraft
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