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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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Ungarn, Böhmen, Griechen – sogar ein leibhaftiger Türke. Beeindruckend, oder?»
    «Ein Muselmane? Ihr lebt mit einem Muselmanen zusammen?», rief Catarino entgeistert.
    «Was dagegen?», fragte Hannes.
    «Aber das sind… Ungläubige!»
    «Der ungläubige Muselmane hat mir schon mindestens zweimal das Leben gerettet. Es gibt nicht allzu viele Christen, von denen ich das behaupten könnte», sagte Hannes trocken.
    Catarino starrte nachdenklich ins Feuer. «Lebst du schon immer mit ihnen?», fragte sie leise.
    «Seit dem Tod meines Vaters», antwortete Hannes. «Damals hat Malou mich von der Straße aufgelesen und einen Akrobaten aus mir gemacht. Ich hatte ganz schön Glück. Man kann als heimatloses Kind auch ganz anders enden.»
    «Ist dein Vater wirklich… aufgehängt worden?», fragte Catarino ungläubig.
    «So was Ähnliches. Ja.»
    «Und deine Mutter?»
    «Ist auch schon lange tot. Alles, was ich an Familie habe, sind sie.» Er wies auf die Menschen umher.
    «Mein Vater ist auch tot», murmelte Catarino. Sie hatte plötzlich Tränen in den Augen.
    «Woran ist er gestorben?»
    «An einer Krankheit. Als ich drei war.» Sie wischte sich mit der Hand über die Augen. «Alle sagen, es kann nicht sein, dass ich mich an ihn erinnere, und dabei erinnere ich mich noch so gut an ihn. Ich habe ihn so lieb gehabt. Alles ist ganz furchtbar, seit er tot ist.» Sie kam sich ziemlich albern vor, während sie das sagte. Da saß
    sie an einem Feuer in einem Gauklerlager und erzählte so einem dahergelaufenen Akrobatenbengel ihre Lebensgeschichte.
    «Es ist scheußlich, nicht wahr?», sagte Hannes tonlos. «Egal, wie viel Zeit vergeht, man kann sie einfach nicht vergessen.»
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    Sie nickte und schniefte. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, dass jemand die Sache mit ihrem Vater wirklich verstand.
    Später wurden Lieder gesungen. Jemand klimperte auf einer Laute dazu, ein anderer schlug den Rhythmus auf einer Trommel. Reihum stimmte einer ein Lied an, und wer immer auch nur im Entferntesten den Text oder die Melodie kannte, sang oder summte mit. Ein paar Lieder kannte Catarino – Quand je bois du vin clairet und Aquelo Mountagno zum Beispiel –, viele waren aber in fremdländischen Sprachen und hatten seltsam anmutende Melodien. Dennoch faszinierten sie sie, und sie hätte stundenlang zuhören können. Schließlich forderte man auch sie auf, ein Lied zu singen. Sie zierte sich etwas und meinte, sie könne gar nicht singen, aber ihre Gastgeber waren unerbittlich, und schließlich gab Catarino, von der Laute begleitet und erstaunt über ihre eigene Courage, eine gar nicht so untalentierte Version von Pourquoy tournez vous voz yeux gratieux zum Besten. Alle klatschten Beifall. Noch später wurde getanzt. Nicht die Art Tanz, die Catarino kannte; die Tänze hier hatten keine Regeln, und wenn sie welche hatten, so waren sie einem Außenstehenden nicht ersichtlich. Catarino kam es vor, dass jeder sich zur Musik bewegte, wie es ihm gefiel. Manche tanzten allein, andere paarweise, eine Flöte spielte dazu, eine Laute, eine Cornamuse, zwei Trommeln und ein Tambourin. Irgendwann griff Hannes nach ihrer Hand und sagte, kommt, tanzt mit mir. Sie jammerte, dass sie diese Art Tanz nicht könne, doch er lachte nur und zog sie mit sich.
    Einmal, während sie sich im Schein des flackernden Feuers um ihre Achse drehten, stolperte sie über eine Unebenheit im Boden, und er drückte sie an sich, damit sie nicht fiel. Einen Moment lang lag ihr Kopf auf seiner Brust, und sie konnte seinen Herzschlag hören und roch den Geruch seines Wamses, ein Geruch nach Arbeit und Staub, aber gleichzeitig auch nach Leben. Sie riss sich los und floh zu ihrem Platz am Feuer zurück.
    Die Stadttore hatten längst geschlossen, und Catarino wollte sich nicht der Peinlichkeit aussetzen, das Nachttor an der Porto Nosto Damo zu benutzen, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als bei den Gauklern zu übernachten. Juana, die Akrobatin, stellte ihr ihr 681
    Zelt zur Verfügung, wo sie dann auf Decken und Kissen lag und zum Zeltdach emporstarrte, durch das blass und fern der Mond schimmerte.
    Es dauerte lange, bis sie endlich einschlief.
    Hannes weckte sie im Morgengrauen. Er begleitete sie zum Tor, und kaum dass der Wächter das Tor öffnete, schlüpfte sie nach drinnen. Bevor sie in die Stadt verschwand, winkte sie noch einmal zurück.
    Das Haus schlief noch, und über das Dach des Stalles erreichte sie das Fenster im ersten Stock, das sie offen

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