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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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diese Dinge geflissentlich hinwegzusehen. Cristino wusste zwar Bescheid und betrauerte schniefend Loís’
    Abwesenheit, doch das Fehlen ihrer Brüder kümmerte sie nur wenig, da sie nach den Ereignissen vom Vortag – der Hinrichtung der Hexe und Bruder Antonius’ schockierender Eröffnung – wieder angefangen hatte, von Agnes Degrelho zu träumen.
    Bruder Antonius merkte es natürlich, als er des Morgens zum Unterricht kam und sein Schüler nicht auffindbar war, aber er war zu müde, sich auf eine Szene mit den Aubans einzulassen.
    *
    «Diesen Sonntag ziehen wir in den Krieg, gegen die Engländer, zu Land und zu Wasser…»
    770
    Bardou merkte es natürlich, da die Arbeit seines Sohnes liegengeblieben war, doch bei der momentanen seelischen Verfassung der Herrschaft zog er es vor, Stillschweigen darüber zu bewahren. Und als Oma Felicitas beim Abendessen schließlich fragte: «Himmel noch eins, hat irgendeiner eine Ahnung, wo Fabiou und Frederi Jùli sind?», da trafen sich lauter betretene Gesichter, denn keiner konnte sich daran erinnern, wann er sie zuletzt gesehen hatte.
    ***
    Wenn Fabiou später versuchte, sich den Moment des Zusammenpralls ins Gedächtnis zu rufen, stieß er in seinem Gehirn auf wenig Verwertbares. Da war ein Wirbel aus menschlichen Körpern, Stoff und zuckenden Hufen, da war Fluchen und Schreie, da war das Jaulen von Hunden und das schrille Wiehern der Pferde. Während er in die Luft geschleudert wurde und zusah, wie er über den Hals seines Falben hinwegsegelte, hatte er noch Zeit zu denken, wird ja langsam zur lieben Gewohnheit, diese vom-Pferd-Fallerei. Dann empfing ihn der Erdboden.
    Augenblicklich wurde es still. Vielleicht nicht wirklich still, vielleicht war es nur so, dass die Entsetzensschreie seines Körpers den Lärm der Umgebung übertönten. Er lag, starr, ohne zu atmen, in der verzweifelten Hoffnung, dass der Schmerz nachlassen würde, wenn er sich nicht bewegte. Über ihm flatterte ein Schwarm Vögel aufgeschreckt in den strahlend blauen Himmel.
    Die Welt gewann Bewegung. Ringsum Menschen, Tiere, die sich aufrappelten. Fabiou gab auf und rang verzweifelt um Atem. Er hatte es geahnt, es tat noch mehr weh.
    Jemand neben ihm stolperte auf die Füße. «Wo ist er?», kreischte eine Jungenstimme. «Wo ist der Hirsch hin?»
    Hirsch?, dachte Fabiou und drehte den Kopf zur Seite. Wenn es einen Anblick gab, den er sich in diesem Moment nicht gewünscht hatte, dann diesen. Zwei Schritte neben ihm stand Jean de Mergoult. Sein Gesicht war verschmiert mit Moos, seine Unterlippe blutete, und er sah ziemlich, ziemlich ungehalten aus. Fabiou verabschiedete sich von der Vorstellung, er habe sich sämtliche Knochen gebrochen, und setzte sich auf, um die Szene 771
    näher zu analysieren. Acht Menschen waren auf der Lichtung, neben Loís, der stöhnend eine Beule an der Stirn massierte und Frederi Jùli, der erstaunlich unverletzt wirkte, waren da noch Andréu d’Estrave und drei weitere Jungs aus Jean de Mergoults Freundeskreis, alle im Jagdgewand, alle ziemlich zerschrammt von dem Zusammenstoß, und alle nicht gerade bester Laune. Und im selben Moment hatte Jean ihn auch schon entdeckt. «Du!», schrie er. Oh je. Klingt nicht sehr freundlich, dieses Du.
    «Du hast den Hirsch verjagt. Du hast mir die Jagd verdorben. Mein erster Hirsch!» Jean schien den Tränen nahe.
    «Das hier ist in erster Linie ‘ne Straße», kommentierte Fabiou trocken. «Und erst in zweiter Linie ein Jagdrevier.» Er kämpfte sich auf die Füße. Seine Hose war über dem linken Knie zerrissen. Blut rieselte seinen Unterschenkel hinab.
    Jean schoss auf ihn los. Unter den grünen Schmierern war sein Gesicht puterrot. «Das hier ist mein Land», schrie er, «und auf meinem Land entscheide ich, was ein Jagdrevier ist und was nicht!»
    Fabiou antwortete nicht, weil er erst einmal schlucken musste. Herr Jesus, er hatte nicht geahnt, dass das Land der Mergoults so weit nach Süden reichte, der Stammsitz der Familie lag mindestens zehn Meilen im Norden, jenseits der Durenço. «Na… na und wenn schon!», brachte er schließlich hervor. «Was können wir denn dafür, wenn ihr um die Ecke schießt wie die apokalyptischen –» ‹Reiter›, hatte er sagen wollen, doch er kam nicht dazu, denn in diesem Moment knallte Jean ihm die Faust ins Gesicht, dass er sich wieder auf den Boden setzte. Stöhnend drückte er seine Hand vors Gesicht. Aus seiner Nase schoss Blut. Irgendwo schrien Loís und Frederi kollektiv auf.
    Schade, jetzt

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