Die Kinder des Ketzers
französischen Krone war, wer war dann dafür verantwortlich?
Maynier. Der Name stand plötzlich wieder im Raum. War es doch mehr als ein tragischer Unfall gewesen, als der junge Labarre von seinen Soldaten in Lauri ermordet wurde? War der Tod des Priesters von La Costo mehr als die unkontrollierte Tat eines rasenden Söldnerhaufens gewesen? Was war mit den Piemontais , die Antoine Carbrai getötet hatten? Der wahllose Mord an einem Protestanten oder doch etwas, wohinter ein Plan, ein Ziel steckte? Was war mit Onkel Pierre? Einen Unfall kann man auch arrangieren, oder etwa nicht?
Was war mit seinem Vater?
Und unabhängig von der Frage, wie sie gestorben waren und ob ihr Tod Zufall war oder Teil eines ausgetüftelten Planes – wer um Himmels willen hatte die Bruderschaft verraten? Es musste einer gewesen sein, der ihnen nahestand, vielleicht sogar zu ihnen gehörte. Aber wer?
Cristou hatte einen sehr, sehr guten Freund gehabt, der sicher über all seine Pläne und Unternehmungen Bescheid wusste. Frederi de Castelblanc. Fabiou wurde übel bei dem Gedanken.
So lag er und grübelte, bis das Fenster sich langsam grau zu verfärben begann und er wusste, dass er die anderen wecken musste.
***
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Die Finanzlage erlaubte kein ordentliches Frühstück mehr, weshalb sie sich damit begnügten, bei einem Bäcker einen Laib Brot zu kaufen. An einem öffentlichen Brunnen tränkten sie ihre Pferde und füllten ihre Wasserflaschen auf. Frederi Jùli machte sich einen Spaß daraus, die anderen beiden mit Wasser vollzuspritzen, doch weder Fabiou noch Loís hatten Lust darauf, zurückzuspritzen.
«Wir sollten einen anderen Weg zurück nehmen», meinte Loís. «Falls uns einer gefolgt ist und uns jetzt auf dem Rückweg auflauert.»
«Einen anderen Weg? Was für einen anderen Weg denn?»
«Über die Aupiho nach Sant Roumié. Und dann entlang der Durenço weiter nach Ais.»
«Das ist ein Umweg von mindestens einem halben Tag», murmelte Fabiou.
«Und wenn’s ein ganzer Tag wäre – lieber einen Tag später ankommen als nie!», sagte Loís ärgerlich. Er hatte sein Bündel aufgefaltet und sah mit starrem Blick auf den schwarzen Lauf der Arkebuse. Fabiou seufzte tief. «Also von mir aus – reiten wir eben über St. Roumié», sagte er und sprang vom Brunnenrand. Loís reagierte nicht. Fabiou bemerkte die feuchten Flecken, die seine Finger auf dem dunklen Metall hinterließen. «Ich könnte niemals abdrücken, Baroun», sagte er leise, «wisst Ihr, ich könnte es einfach nicht.»
Fabiou wandte sich hastig ab und schritt zu seinem Pferd. Sie verließen Arle also in nördlicher Richtung. Es war noch früh am Morgen, noch war die Luft frisch und kühl, und Fabiou meinte, man sollte sehen, dass man vorankam, bevor es wieder so verdammt heiß würde. Auf der Straße herrschte gähnende Leere; es war Sonntag, deshalb fehlten die Fuhrkarren und die Gespanne der Bauern, auf die man sonst um diese Zeit zu treffen pflegte. Sie ritten an der Benediktinerabtei von Montauban vorbei, die wie eine gepanzerte Belagerungsmaschine auf dem Hügel kauerte. Vor ihnen ragte die zerklüftete Bergkette der Aupiho wie eine zersplitterte Eisscholle in den samtblauen Himmel. Zur Linken, fast unsichtbar, eine weiße Felsenkrone unter weißen Felsenkronen, thronte die Festung der Baus auf dem Kamm der Berge. 767
Hinter dem Dorf Maussano stieg der Weg langsam an. Sie waren auf der Passstraße nach Sant Roumié.
Heiß wurde es früh genug. Während die Tiere sich die steile Straße emporquälten, ließ die warme Julisonne den Reitern den Schweiß in Strömen über den Körper laufen. Fabiou schwitzte so unter seiner Mütze, dass er sie schließlich absetzte, mit dem Ergebnis, dass er bereits am frühen Nachmittag einen ordentlichen Sonnenbrand auf der Stirn hatte. Loís hechelte wie ein altersschwacher Jagdhund. Allein Frederi Jùlis Laune war ungebrochen; er grölte den steilen Felswänden zu beiden Seiten entgegen: «Nous on va sur les chemins de France, les chemins de France, de la Bourgogne jusqu’à la Provence, jusqu’à la Provence, à pied et à cheval, à pied et à cheval!»*
Immerhin waren sie jetzt nicht mehr allein. Ein paar Schritte voraus quälte sich ein Pferdekarren den gewundenen Weg hinauf, ein Stück zurück ein Bauer mit einem Esel und eine Kutsche mit Reisenden. Günstige Voraussetzungen. Mutterseelenallein hätte Fabiou keine Lust auf diese enge Passstraße ohne jede Fluchtmöglichkeit gehabt. Schließlich war der
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