Die Kinder des Saturn
Investitionen und ähnlich langweilige bürokratische Dinge, also ignoriere ich sie.
Entweder besitzt meine Gebieterin einen ausgezeichneten Geschmack oder die eher praktische Fähigkeit, Leute mit ausgezeichnetem Geschmack mit der Gestaltung ihres Umfelds zu beauftragen, denn aus diesem Anwesen, das ihr besonders am Herzen liegt, hat sie etwas wirklich Schönes gemacht. Als ich ihr mitsamt ihrem Tross an Bord der Pygmalion begegnet bin, ist mir dieser Sinn für Ästhetik gar nicht besonders an ihr aufgefallen.
Kallisto kreist in den eiskalten Tiefen des Raums und liegt jenseits der Taugrenze, in der sich die Sonnenstrahlung noch bemerkbar macht. Der Mond ist so klein, dass er nicht über einen aktiven Kern verfügt, und Wasser spielt in seiner Geologie die gleiche Rolle wie geschmolzenes Felsgestein auf der Erde. Das bedeutet, dass man davon absieht, Gebäude für Leute, die noch an die Bedingungen des inneren Systems gewöhnt sind, auf nacktem Boden zu errichten, denn dort könnten die Häuser leicht absinken. Granitas Architekten haben sich eine besondere Lösung ausgedacht und einen Bau in Form einer zarten Schneeflocke errichten lassen, der aus miteinander verästelten Eiskristallen besteht. Die röhrenförmigen Gänge und kapselartigen, mit Atmosphäre versehenen Wohnbereiche stützen sich auf schlanke Pfähle, die sich über den halben Krater hinwegziehen. Glänzende, unregelmäßig geformte Kacheln aus vulkanischem und metamorphem Gestein bilden gemeinsam das kunstvolle Mosaik der Wände und Fußböden, so dass der oberflächliche Eindruck eines wilden Durcheinanders sofort durch die Ruhe und Glätte vermittelnde künstliche Gestaltung gemildert wird – ganz ähnlich wie bei der Bauherrin selbst. Bei geringem atmosphärischem Druck hält Granita die Temperatur in ihrem Reich unter dem Schmelzpunkt von Eis, was angenehm ist, wenn man an die äquatorialen Bedingungen des Mars gewöhnt ist. Zumindest ist es hier nicht so warm, dass sich die Fäden ihres Spinnennetzes wie schmelzende
Kabel durch die eiskalte Oberfläche des Galilei’schen Mondes fressen.
Ein paar Tage verbringe ich damit, das Herrschaftshaus und seine verborgenen Winkel zu erforschen – vom Swimmingpool bis zur Galerie. Das tiefe, farblose Schwimmbecken ist mit Azeton gefüllt, das sich als kühle und unnatürlich dünne Flüssigkeit aalglatt um meine Haut legt. Als ich darin zu schwimmen versuche, gehe ich allerdings unter. Die mit Glas überdachte Galerie besteht aus einer Sammlung von Alabaster-Statuen, die die Schwestern meiner Gebieterin und deren Matriarchin darstellen. Mit all dieser Pracht lenke ich mich ab – verwirrt, ihr ausgerechnet hier, mitten im Nirgendwo, zu begegnen. Doch Granitas Instruktionen setzen der glatten Oberfläche von Selbstzufriedenheit, die ich zur Schau trage, wie Beize zu, denn mich beherrschen böse Vorahnungen. Eigentlich müsste ich irgendetwas tun, um ihr zu helfen, aber ich weiß nicht, was sie von mir erwartet. Und ihre Anweisungen verbieten mir jede Diskussion mit anderen Angehörigen ihres Haushalts, die mir vielleicht einen Rat geben könnten. Ich darf ihnen gegenüber ja nicht einmal zugeben, dass ich genau wie sie eine von Granitas Bediensteten bin! Angeblich bin ich Katherine Sorico, eine unabhängige, eigenständige Person mit einigem Einfluss. Jedes Mal, wenn ich an diese widersprüchlichen Instruktionen denke, gerate ich in einen unangenehmen Konflikt der Prioritäten. Irgendwann ringe ich mich dazu durch, Granita selbst um Klarheit zu bitten, doch als ich mich dazu aufraffe, ist sie in irgendwelchen geheimnisvollen Angelegenheiten unterwegs.
Inzwischen träume ich wieder häufig von Juliette, und auch das beunruhigt mich. Juliettes Persönlichkeit ist von ätzendem Zynismus geprägt, und ich weiß genau, sie würde in ihrer arroganten Art nur verächtlich schnauben, wenn sie wüsste, wie ich mich von Granita gängeln lasse. (Vor fünf Tagen hätte ich das ja auch noch getan.) Wie ich mittlerweile weiß, ist es eine lange Geschichte, die Juliette und Jeeves miteinander verbindet. Noch länger ist die Geschichte von Juliettes Zusammenstößen mit den
kleinkarierten, unbedeutenden Aristos, die den Leuten in ihrem Umfeld das Leben zur Hölle machen. Stets müssen sie sich die eigene Überlegenheit auf Kosten all derer bestätigen, deren Status sie als niedriger als ihre eigene prekäre Stellung in der Gesellschaft betrachten.
Derzeit steckt der Seelenchip Juliettes in mir, auf dem die
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