Die Kinder des Saturn
bedrohliche Stellungnahme des Jeeves von der Inneren Sicherheit gespeichert ist – der Chip, der mit dem Schnipp-Schnapp brutaler Scherenhände endet. Doch aus Juliettes Absichten werde ich nach wie vor nicht schlau, erst recht nicht nach den Aufzeichnungen auf diesem Chip. Neben ihren Tätigkeiten für Jeeves hat sie ein geheimes Leben geführt, und ich habe das böse Gefühl, in diesem Leben bereits bis zum Hals drinzustecken.
Durch ihre Augen erhasche ich kurze Blicke auf eine größere Auseinandersetzung, in der die Jeeves-Brüder und ihre Verbündeten mehreren losen Konsortien Paroli bieten müssen: der Schwarzen Klaue (zu der auch meine persönliche Feindin, die Domina, gehört), dem Bündnis der Eigentümer, dem Sleepless-Kartell und anderen Gruppierungen, die unsere Schöpfer aus eigenen Gründen wiederauferstehen lassen möchten. (Selbst die Kirche der Zwerge ist daran beteiligt, dieser Zusammenschluss trauriger, niedergedrückter Seelen, die sich für technologische Reinkarnationen des Fleisches halten. Zwar würden sie sich selbst gern zu Schöpfern machen, doch sie haben den gleichen Hunger auf Pink Goo wie alle anderen auch.)
Diese Situation führt zu seltsamen Zweckbündnissen. Einerseits verfolgt die Pink Goo -Polizei Kuriere der Firma Jeeves (wie mich) zu gewissen Zeiten, andererseits arbeitet sie bei anderen Projekten mit den Jeeves-Brüdern zusammen, um dem übergeordneten Ziel näher zu kommen: Bis zu dem Tag, an dem unsere Schöpfer mit Genehmigung der Behörden wiederauferstehen sollen, will die Polizei verhindern, dass fremdartige Replikatoren die steril gehaltene Lithosphäre der Erde verseuchen.
Ich unterstelle Jeeves ja gar nicht, dass er bewusst gelogen hat, als er sagte, er wolle mich nicht als Spionin einsetzen. Aber was
ein Jeeves sagt, muss noch längst nicht das sein, was ein anderer Jeeves denkt, so viel ist mir inzwischen leider klar. Als einer der Jeeves-Brüder meiner Schwester Juliette vor mehr als dreißig Jahren erstmals einen Auftrag anbot, hat er ihr dasselbe wie mir versichert, und das war eindeutig gelogen. Auch Emma, diese Kuh, hat mit Sicherheit ein falsches Spiel getrieben. Juliette wurde nur deshalb in dieses dreckige Spielchen hineingezogen, weil Emma sie so dringend um Hilfe bat. Damals arbeitete Juliette als Angestellte in einem Nepplokal. Es war Emma, die von ihr verlangte, sie möge sich einen von Rhea aufgezeichneten Seelenchip herunterladen.
Zwangsläufig frage ich mich, in welcher Hinsicht Jeeves mich noch belogen hat. Granita kann ich zumindest trauen, auch wenn ihr Interesse an mir nur so weit reicht, wie ich ihr als Arbeitssklavin diene.
Inzwischen hat sich die tiefschwarze Depression wieder näher an mich herangeschlichen, schnuppert gierig an meiner Spur und wirft ihren Schatten über meine Seele, sobald ich nicht mehr weiterweiß. Bis Granita mich eines Abends zu sich bestellt.
Im dritten Stock des Westflügels, in dem die große Suite der Eigentümerin untergebracht ist, liegt oberhalb einer schmalen Treppe eine Aussichtsplattform. Die Kuppel besteht aus glänzendem Eis und ist so transparent wie feiner Kristall. Irgendein Zwerg mit ausdruckslosem Gesicht führt mich durch einen gewundenen, nur selten benutzten Gang dorthin. Unterwegs kommen wir an Türen vorbei, die geschickt als Trompe-l’œil-Gemälde getarnt sind, an Bildern, die wie Fenster zu fantastischen Welten wirken, und an einem Vorhang, der so aussieht, als wäre er aus abgestorbenen Strängen von irdischem Green Goo hergestellt – unbezahlbare bizarre Schmuggelware. Schließlich dirigiert mich der Zwerg die Treppe zur Aussichtskuppel hinauf und lässt mich allein. Der Raum ist nur spärlich möbliert: Eine Sitzbank zieht
sich um die ganze Kuppel herum, und in der Mitte steht ein mehrarmiger, nicht entzündeter Leuchter.
Einige Minuten bleibe ich allein im Zwielicht sitzen und frage mich, was ich hier tue. Irgendwann höre ich Schritte auf der Treppe. Sie ist es, meine Eigentümerin! Sofort weicht meine Schwermut einem Anflug wohlkonditionierter Erregung. »Granita?« Ich stehe auf. »Du wolltest mich sehen?«
Bei dem trüben Licht ist ihre Miene nicht zu deuten. »Lass uns allein«, ruft sie nach unten. »Ja. Setz dich, Kate.« Hastig gehorche ich, während sie sich dem Leuchter zuwendet und eine der Perchloratkerzen mit einer glühenden Drahtspule entzündet. Die Kerze leuchtet mit einem Zischen auf, das so klingt, als lösche jemand weißglühendes Metall, beginnt zu sprudeln und
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