Die Kinder des Saturn
Figur geformten Schaumpolster auf einem Tisch in Ferds Untersuchungszimmer. Neben mir bemerke ich eine offene Versandkapsel, die ramponiert und verdreckt wirkt. Mein Blick verschwimmt. »Scheiße!«
Entsetzt starre ich auf meine Hand. Meine Hand, die so makellos aussieht, als wäre sie nie benutzt worden, und überhaupt keine individuellen Merkmale aufweist, was mein Entsetzen noch vergrößert. Ich muss schlucken. Ist Jeeves klar, was er da getan hat? (Ja, selbstverständlich. Aber er hat es trotzdem getan.) »Wer war sie?«, frage ich erbost. »Zu welcher Person sollte sie sich entwickeln?«
»Zu gar keiner«, erwidert Jeeves in einem Ton, in dem lebensmüder Zynismus mitschwingt. »Hier.« Er wirft mir zwei kleine blaue Plastikchips zu, die ich gerade noch auffangen kann. Ich mustere sie: Es sind Verschlussdeckel für Seelenchipbuchsen. »Sie war noch nicht geprägt. Genauer gesagt: auch nicht funktionsfähig. Sie hat das Licht der Welt in einer Lagerhalle erblickt, wo veraltete Modelle auf die Wiederverwertung in Form von Ersatzteilen
gewartet haben. Dort lagern alte Bestände, aber auch runderneuerte Austauschteile. Wir bieten automatisch bei allen Ersatzteilen für gewisse Modelle mit, wenn sie versteigert werden. Und dieser tüchtige Bursche hier hat fast zwanzig Tage gebraucht, um herauszubekommen, was mit Ihrem neuen Körper nicht stimmte, und ihn wieder so weit herzurichten, dass wir Sie darin installieren konnten. Auf der Grundlage des Chips, den Sie uns gegeben hatten.«
Mir ist immer noch übel, aber aus einem ganz anderen Grund als vorher: übel vor Angst. Ich erinnere mich noch gut an mein letztes »erstes Erwachen«: Seinerzeit hielt ich mich für Rhea, bis mich der Projektleiter mit ernster Miene aufklärte. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich, dass Jeeves mich mit einem Ausdruck abgrundtiefer Verachtung betrachtet. Was er ja durchaus darf. Aber dass es so weit gekommen ist, setzt voraus, dass gewisse Dinge passiert sein müssen … »Hat sie sich abzusetzen versucht?«, frage ich mit heiserer Stimme.
Jeeves nickt. »Über ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort ist zwar nichts bekannt, aber man kann davon ausgehen, dass der Versuch Erfolg hatte.« Er blickt zu Ferdinand hinüber. »Lassen Sie uns allein. Jetzt gleich.«
»Oh.« Scheiße. Ohne Vorwarnung überwältigt mich eine tiefe Depression. Ich werde ihn niemals wiedersehen, wie mir klar wird. Sie, diese egoistische Kuh, mein früheres Selbst, hat ihn sich geschnappt. Selbstverständlich. Sie war Jeeves immer eine Nasenlänge voraus, also hat sie das inzwischen bestimmt geschafft und alles für sich geregelt. Und ich darf die Suppe jetzt für sie auslöffeln. »Was hat Daks Ihnen erzählt?«
»Daks?« Jeeves täuscht sehr überzeugend Verblüffung vor.
Ich starre ihn finster an. »Halten Sie mich für blöde ? Was haben Sie mit Pete angestellt?«
»Hier geht es nicht um, äh, die Sache mit Pete. Falls Sie sich beruhigen, aufstehen und unsereins ins Büro begleiten, können wir darüber reden.« Wie üblich verhält sich Jeeves aalglatt und zuckersüß. Nur ein winziger Funke in seinen Augen verrät mir, in
welchem Schlamassel ich stecke. Was, wenn er auch über diese andere Sache Bescheid weiß?, mischt sich ein Teil von mir unaufgefordert ein, obwohl ich versuche, ihn dahin zurückzuverfrachten, wo er hergekommen ist. Was, wenn … Ich achte nicht mehr darauf.
Als ich aufstehe, reicht mir Ferd eine Art Kimono, in den ich mich einwickle, während Jeeves zur Tür schlendert und dort stehen bleibt, bis ich ihn eingeholt habe. Ich bin zwar noch schwach und unpräzise in meinen Bewegungen, aber selbstverständlich arbeitet mein Verstand unermüdlich. Und so sollte es auch sein, denn wenn man einen Seelenchip das erste Mal in ein noch nicht geprägtes Gehirn lädt, treten nicht solche desorientierenden Verzögerungen und Funktionsschwächen auf wie bei der Übertragung von Erinnerungen von einem Seelenchip auf ein Gehirn, das bereits eine Persönlichkeit in sich birgt. Allerdings merke ich bald, dass mir vieles entgehen würde, hätte Ferd beim Programmstart nicht auf einen Speicherauszug aus Rheas Kopiervorlage zurückgegriffen. Alles, worüber ich verfüge, sind die Erinnerungen aus der Zeit, als ich, nein, Juliette , diesen Chip in sich trug.
Ich rekapituliere. Erstens: Als Jeeves mich um diesen Chip bat, überlegte ich gerade, wie ich zu Pete zurückkehren könnte. Zweitens: Jeeves muss damals etwas in dieser Richtung vermutet haben.
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