Die Kinder des Teufels (German Edition)
diesem herz- und gottlosen Menschen ab und ihrer Mutter zu. Hinter sich hörte sie Lioba die Türe schließen und die Treppe hinuntersteigen.
«Schau, Mama», sagte sie zärtlich und zeigte ihr das Kind, «das ist unser neuer Mann im Haus.»
Mama.
Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie es gewagt, ihre Mutter so zu nennen.
«Ist er nicht wunderschön?»
Helene reagierte nicht. Ihr Blick hatte sich im Nichts verloren, ihre Brust hob sich nicht mehr. Sie war tot.
«Ich werde ihn Michael nennen, so wie der heilige Michael, der Erzengel. Was hältst du davon?»
Kathi schaute Helene erwartungsvoll an, und als keine Antwort kam, ging sie von ihrer Zustimmung aus.
«Michael. Eine gute Entscheidung.»
Sie schniefte und wiegte ihren Bruder Michael in den dünnen Armen. Sie summte dabei ein Lied, das ihre alte Amme Babette immer gesungen hatte. Die Worte waren ihr abhandengekommen. Was zählte, war die Liebe in der Melodie.
Gott habe dich selig, dachte sie. Und Mama auch.
Lioba hastete heimwärts. In der Tasche klapperten Münzen. Sie gluckste zufrieden und zog den Umhang fest an ihren Körper. Diese dumme Gans hatte ihr tatsächlich den Lohn von drei Tagen gegeben. Wäre es doch immer so einfach.
Es war eiskalt. Die Luft schnitt ihr in Kehle und Brust. In den Gassen hielt sich zu so später Stunde niemand mehr auf. Selbst der Nachtwächter hatte sich hinter dem warmen Ofen verkrochen.
Unter ihren Füßen knirschte der gefrorene Schnee. Sie musste achtgeben. Pfützen hatten sich in spiegelglattes Eis verwandelt. Ein gebrochener Fuß oder ein verletzter Arm waren das Letzte, was man sich in diesen Tagen einhandeln sollte. Medizin war knapp geworden. Im Krankenhaus der Stadt herrschte blankes Elend und eine unvorstellbare Not. Gesund bleiben war das Gebot der Stunde.
Lioba hatte gerade die nächste Hausecke erreicht, als etwas Sonderbares ihre Aufmerksamkeit erregte. Die Hauswand des gegenüberliegenden Franziskanerklosters wurde vom Mondlicht seltsam hell angestrahlt, derart, als würden Fackeln ihr Licht darauf werfen.
Sie blickte nach oben und erschrak.
«Gütiger Gott …»
Sie nahm die Beine in die Hand, schlitterte und glitt auf dem gefrorenen Boden dahin. Mit letzter Kraft schaffte sie es hinüber zur Pforte des Klosters und klopfte so lange gegen das schwere Holztor, bis ihr geöffnet wurde.
Ein ebenso verstörter wie verschlafener Bruder gähnte sie an. «Was willst du so spät in der Nacht?»
Lioba deutete stumm nach oben.
Es dauerte einen Moment, doch dann reagierte der Mönch umso schneller. Er eilte zurück und weckte seine Brüder. Einer nach dem anderen torkelte schlaftrunken auf die Straße.
Fassungslos starrten sie zum Himmel, schlugen Kreuzzeichen und murmelten. Einer fiel auf die Knie, reckte die gefalteten Hände in die Höhe und flehte um Vergebung seiner Sünden.
Ein anderer warnte. «Satan wird in dieser Nacht neu geboren. Rettet euch, Brüder. Lauft um euer Leben.»
Lioba merkte auf. «Satan?»
Die Brüder verstreuten sich um Hilfe flehend in alle Richtungen. Nur einer bezwang die Angst, Bruder Jakobus.
«So steht es geschrieben: Es wird der große Drache – Teufel und Satan genannt, der den ganzen Erdkreis verführt – auf die Erde geworfen. Mit ihm seine Engel. Die ganze Teufelsbrut.»
Auch Lioba kannte die Heilige Schrift, nicht so gut wie ein Mönch, aber das Wichtigste war ihr präsent. Sie erinnerte sich an eine andere Textstelle.
«Aber heißt es nicht auch, dass der Teufel aus dem Schoß einer Hure geboren wird?»
«Ja, einer Hure. Aber was treibt dich um, Weib, dass du so besorgt redest?»
«Ich komme soeben aus einem Haus», stotterte sie, «einem verfluchten, in dem ein liederliches Weib, eine Ehrlose, einen Wechselbalg geboren hat. Starke Schmerzen haben sie begleitet. Stärker als normal. Und das Kind …» Sie schlug vor Schreck die Hand vor den Mund.
«Was ist mit ihm?»
«Es trägt ein Mal.»
Jakobus horchte auf. «Welcher Art?»
«Es ist … seltsam geformt. Es sieht aus wie eine Zahl.»
«Wie lautet sie?»
«Ich weiß es nicht. Es war dunkel und …»
«Führ mich zu dem Haus.»
«Nicht um alles in der Welt.»
«Komm jetzt.»
Er fasste sie fest am Arm und führte sie fort.
Über ihnen erstrahlte der Komet, verstörender und prächtiger anzusehen als zuvor. Er musste der Erde ein beträchtliches Stück näher gekommen sein. Der rote Kranz um seinen Körper war dichter geworden, brannte, glühte wie Höllenfeuer.
Die Tür zu Kathis Haus war
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