Die Kinder Paxias
man im Moment keinen Einfluss hat und vor allem auch nicht ändern an. Konzentriere dich besser auf die Handlungen, die dir jetzt möglich sind und nicht die, die du in der Vergangenheit bereust. Mach dir vor allem nicht so viele Gedanken um deine Angehörigen – das lähmt dich und beraubt dich deiner unleugbaren Stärke.
Ich bin ganz sicher, eine Tochter Anamegs besteht auch in schweren Zeiten.“
Kaelis trauernde Starre wandelte sich in irritiertes Erstaunen.
„Du weißt, dass Anameg meine Mutter ist?“
„Sagen wir, ich habe gut geschlussfolgert“, Gareth nutzte Kaelis einsetzenden Stimmungswandel, legte ihre Hand in seine Armbeuge und strebte der langsam vor ihnen schreitenden Gruppe nach.
Doch diese Antwort war unzureichend, es war ihrer Miene überdeutlich anzusehen. Mit einem leisen Lachen gab er ihrer stummen Frage nach.
„Du erwähntest, du seist ein Kind des Meeresherrschers, also musst du auch ein Kind Anamegs sein – wenn mein Kenntnisstand mich nicht täuscht.“
„Wie ist es möglich, dass du das weißt? Für Cedric war diese Information absolut neu“, Kaeli erinnerte sich genau an die fassungslose Reaktion des Paxianers.
„Das verwundert mich keinesfalls“, entgegnete Gareth, offenbar zufrieden, sie von ihrem Kummer abgelenkt zu haben. „Anameg hat nie erwähnt, wem sie versprochen war. Ich aber – im Gegensatz zu meinen Brüdern – bin dem Herrscher des Meeres begegnet.
Hat dein Vater nie erzählt, dass er die Vermählung mit deiner Mutter deshalb so energisch betrieb, weil er sich in sie verliebte – direkt bei der ersten Begegnung?“
„Wirklich?“, Kaeli staunte. Eine solche Version war ihr nie zu Ohren gekommen. Allerdings war ihr Vater auch von sehr schweigsamer Natur, was seine Gefühlswelt betraf.
„Ich sprach mit ihm auf einem Fest, in das er sich eingeschlichen hatte, um in Anamegs Nähe zu sein. Er war unsicher, wie er um ihre Gegenliebe werben sollte und suchte Rat.“
„Was immer du ihm gesagt hattest, es hat funktioniert.“
„Es freut mich, dass die beiden miteinander glücklich geworden sind und mich mein Eindruck, dass ihre Unterschiedlichkeit sich wunderbar ergänzen würde, nicht getrogen hat.“
Gareth hatte recht. Ihre Eltern waren ein starkes Paar, und sie strahlten diese Kraft und Zuversicht auf ihr gesamtes Volk aus. Sie würden sich nicht beugen lassen, auch nicht unter der Last eines widerspenstigen Reiches. Gab es einen Weg, die Krise zu meistern, so fanden sie ihn.
Die Wogen in ihrem Inneren glätteten sich, das klare Blaugrün ihrer Augen kehrte zurück.
Kaeli atmete tief durch, genoss die Luft in ihren Lungen, nachdem die bedrückende Enge verschwunden war.
„Ich danke Euch für Eure mentale Ohrfeige, Gareth. Ich glaube, ich bin nun wieder ganz normal – eingeschränkt auf meine Natur natürlich.“
Seine Mundwinkel zuckten amüsiert. Mit der Rückkehr ihrer Selbstironie war sie zweifellos auf dem Weg zur Besserung. Dennoch gab er ihr einen weiteren Rat.
„Du solltest dir selbst gegenüber nicht so hart in deinem Urteil sein. Ich finde deine Haltung bewundernswert vor dem Hintergrund deines Schicksals.
Außerdem bitte ich dich, die Förmlichkeiten zwischen uns endgültig zu streichen. Mir war es wesentlich angenehmer, dich sie vergessen zu erleben.“
„Mir ebenfalls“, sie nickten einander noch einmal verständnisinnig zu, dann erreichten sie die anderen, die sprachlos vor Staunen nach oben starrten. Als Kaeli die Richtung ihrer Blicke verfolgte, begriff sie.
Die Biraner hatten die Klippen benutzt, die Burg förmlich in sie hineinzubauen. Zwei runde Türme gewaltigen Ausmaßes, die einen mehrstöckigen Mittelbau flankierten, verschmolzen mit dem ursprünglichen Felsgestein, in dem nur zahllose hohe Fenster verrieten, dass das Gebäude im ausgehöhlten Inneren Ausdehnung fand. An einigen Stellen deuteten gerundete Vorsprünge weitere Türme an, die nur teilweise bauliche Ausprägung erhalten hatten.
„Meine Brüder und ich hielten den Architekten, dessen Entwurf Biran entstammte, immer für genial. Obwohl sie Land von Wasser trennt, ist die Burg weder vom Meer noch vom Land aus zu entdecken, geschützt und verborgen durch Wald und Klippen.“
„Nur im tiefen Flug wäre es möglich, diesen Ort zu lokalisieren“, murmelte Saya voller Anerkennung für das strategische Genie des Konzeptors. Bewundernd betrachtete sie die Festung. Alle Ungeduld verflog bei dem Bestreben, jede Einzelheit in ihr Gedächtnis zu kopieren.
Kaeli
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