Die Kinder Paxias
Enttäuschung aus dieser Entfernung erkennen konnte, war der strahlend blaue Himmel des Tages. Ein Blau, dass sie bereits in den Augen ihres Gastgebers kennengelernt hatte und dass sie in dieser Masse fast blendete – sie, die nach annähernd zweihundert Jahren nichts anderes als Dunkelheit gewohnt war.
Was würde sie noch alles auf dieser Welt erwarten?
Sie konnte es nicht vorhersehen, aber sie konnte etwas unternehmen, weiteren, ihre Mission unterbrechenden Zwischenfällen, Präventivmaßnahmen entgegenzusetzen, eine Reduktion anzustreben.
Bringe alles über deinen Feind in Erfahrung, denn ein Feind, der deinen Erwartungen entspricht, stellt keine Gefahr dar.
Dieser aufdringliche, wagemutige Iain mit dem übertrieben eifrigen Forscherdrang, schien der geeignete Schlüssel zu diesem Plan. Auf diese Weise konnte die verlorene Zeit in diesem Reich doch noch einem Zweck dienlich sein. Und sie würde jede Möglichkeit ausschöpfen, sie zu nutzen.
Während sich in ihrem Kopf eine Taktik entwickelte und ihr die Richtung vorgab, fädelte sie den glatten Faden in das Nadelöhr, ein Vorgehen, das ihr ebenfalls den unschlüssigen Moment des nächsten Frageninhaltes überbrückte.
Erst mit dem ersten Stich in das zerschnittene Fleisch, war ihre Entscheidung getroffen.
„Ich fasse zusammen: Dieser Ort ist die Himmelsburg, Zentrum des Reichs der Sagenwesen des Himmels. Ihr lebt nicht auf Paxia, aber auch nicht fern von ihr – dies ist also eine Art Zwischenwelt. Seid ihr dadurch ein mächtiges Volk? Über andere erhaben, oder gibt es noch andere, ähnlich in der Lebensweise wie ihr?“
Es entging ihr nicht, wie er sich zwingen musste, seinen Blick nicht auf die Nadel zu fixieren. Dennoch verhielt er sich absolut still und passiv – zuckte nicht einmal unter ihrer folterähnlichen Arbeit – etwas, dass sie unwillkürlich zu seinen Gunsten buchen musste, demgegenüber sie ihren Respekt gerechterweise nicht versagen durfte.
„Ich nehme an, als Gelehrte kennst du die Sagen Paxias...“
„...in und auswendig“, unterbrach sie ihn abrupt und mit geweckter Ungeduld.
„Was ich wissen will, sind die Wahrheiten hinter den Sagen – fern der Fiktion.“
„Ich verstehe“, er nickte knapp, als Zeichen des Einverständnisses und der Bereitschaft diese Frage zuzulassen.
„Also, ein klares Nein zur Überlegenheit irgendeines Volks über ein anderes. Vielmehr ergänzen sich die Kräfte untereinander bis zur Perfektion. Keinem Volk ist es möglich ein anderes zu übertrumpfen, um die Kontrolle zu gewinnen. Keines verfügt über die Macht, auf das Schicksal und die Geschichte anderer Wesen als seiner eigenen Angehörigen, Entscheidungsfähigkeit und Einfluss zu erlangen.
Paxia hat ein Gleichgewicht der Kräfte erschaffen.“
„Erklärung!“, diese Antwort reichte ihr nicht einmal im Ansatz.
„Es ist ganz einfach. Ein Beispiel: Nehmen wir an das Volk der Flüsse und Seen plant eine Erneuerung oder Auffrischung des Wasserbestands. Dafür ist Regen notwendig, den sie von uns erbitten müssen. Wir können entscheiden, ob wir der Nachfrage Folge leisten oder sie aus guten Gründen verschieben. Je nach Beschluss, nehmen wir Einfluss auf die Umwelt Paxias, und das ist nicht unbedingt allen Völkern recht.
Es kann vorkommen, dass es regnet, obwohl die Meere im Gegensatz zu Flüssen und Seen übersättigt sind. Das Volk des Windes greift dann in der Regel ein und vertreibt die Wolkendecke mit einem Sturm, der uns damit unsere Grenzen weist.
Die Kraft der Stürme konzentriert sich weit auf dem Meer. Sie ist unter anderem abhängig von den Mächten des Meeresvolks. Mit steigender Intensität und Gewalt der Fluten, kann auch das Volk des Windes seine Stärke sammeln. Diese Mächte könnten sehr leicht Überhand gewinnen, wenn der Zyklus des Mondes nicht die Gezeiten steuern würde und die Fluten zurückgedrängt würden.
Dass Mond und Sonne keine Freunde sind, muss ich dir als Sternwächterin sicher nicht weiter ausführen.
Du siehst also, unsere Macht existiert nur durch feste Naturgesetze und halbwegs friedliche Zusammenarbeit.“
Gerechtigkeit und Balance in ihrer Vollendung.
Ein schwer vorstellbarer Gedanke. Und wie schrecklich die Vorstellung, diese Einigkeit würde gestört werden können.
War es das, was in dieser Zeit geschah?
Gehörten sie als Sternwächter auch zu diesem Kreislauf, zu dieser Gemeinschaft Paxias?
War der Raub ihrer Macht nur der Anfang einer endlos geschmiedeten Kette, die eine unheimlich
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