Die Kinder Paxias
befindet sich viele Tagesreisen südlich von hier, einen richtigen Zielort habe ich auch noch nicht ermittelt. Aber ich bin bestrebt, in der kurzen Zeit, die mir verbleibt, so viel als möglich dieser Welt zu entdecken.
Bevor das Unwetter heute überraschend über mich hereinbrach, bin ich erstmals in meinem Leben dem Meer begegnet, habe seiner Stimme gelauscht und Fühlung mit dem lebenden Wasser aufgenommen.
Ich hoffe noch auf viele Wunder der Natur zu treffen und bin bestrebt, meine Wanderschaft unmittelbar nach Ende des Regenbruchs wieder aufzunehmen.
Für mich bedeuten diese unerwarteten Pausen nicht wiedergutzumachende Verluste im zeitlichen Verlauf meines Hierseins.“
Es blieb eine Weile stumm nach dieser für Sayas Verhältnisse ausführlichen Rede. Nur das leise Knacken von Holzscheiten im Feuer war zu hören. Dann räusperte Jiria sich leise.
„Seid Ihr sicher, dass Ihr so bald wieder aufbrechen wollt, Saya? Ihr seid hier herzlich willkommen, auch über Nacht. Erholt Euch doch noch etwas – auch wenn das Unwetter bald vorbeigezogen ist, wie wir es erwarten.“
„Ich danke Euch für dieses freundliche Angebot, Paxia wird Euch Eure freigiebige Gastfreundschaft lohnen. Aber ich bin gewohnt, mich in der Dunkelheit zu bewegen und bitte nur, mir den Aufenthalt zu gestatten, bis der letzte Regentropfen versiegt ist. Nasse Kleidung ist sehr unangenehm am Leib.“
Demonstrativ richtete Saya sich am Feuer neu aus, um auch ihre andere Seite zu trocknen, was dem Paar ein verständnisvoll amüsiertes Lachen entlockte.
„Wir müssen Eure Ablehnung akzeptieren. Dennoch wird Jiria Euch in Cassias Zimmer ein Ruhelager bereiten – nur ein unverbindliches Angebot, falls das Wetter diese Nacht nicht umschlägt, oder Ihr es Euch anders überlegen solltet. Cassia wird bei uns schlafen.“
Rourks Worte wurden von einem zustimmenden Laut Jirias begleitet, die sich erhoben hatte, um den Tisch von den Resten des Mahles freizuräumen. Sie wandte sich dabei an ihre kleine Tochter, deren Augen unverwandt an Saya hingen.
„Wo wir gerade bei Schlaf sind, es wird Zeit für dich, Cassia. Verabschiede dich und dann ab ins Bett.“
Das Mädchen kam gehorsam der Aufforderung nach. Auch wenn Saya das von Kindern ihres Reiches als Selbstverständlichkeit kannte, hatte sie an dieser Stelle unerklärlicherweise eine gegenteilige Reaktion erwartet.
Cassia legte ihre Hand zutraulich auf den unbekleideten Arm der Gelehrten.
„Danke für deine Geschichte. Das war sehr nett von dir. Ich habe dich sehr gern.“
„Das scheint mir aber reichlich verfrüht, du kennst mich doch kaum zwei Stunden“, kommentierte Saya zweifelnd, aber um ihre Lippen lag ein leises Schmunzeln.
„Ein schnelles Urteil ist ein Vorrecht der Kinder. Unsere Cassia beweist darin ein geradezu hellsichtiges Vermögen“, erklärte Rourk mit liebevollem Blick auf seine Tochter, die seltsam nachdenklich wirkte und die Gelehrte auf eine wissende Art musterte, die dieser ein unbehagliches Gefühl einflößte.
„Auf jeden Fall ist mir mehr klar, als du zu berichten bereit gewesen warst.“
Ehe Saya sich von ihrer Verblüffung ausreichend erholt hatte, um eine Entscheidung über den Sinn und die entdeckenden Folgen einer nachhakenden Frage zu treffen, war Rourk aufgestanden und mit Cassia auf dem Arm in das angrenzende Zimmer verschwunden.
„Verzeiht meiner Tochter ihre Bemerkung, Saya, sie hat eine stark ausgeprägte Fantasie und lebt zuweilen in einer romantischen Märchenwelt.“
Saya wusste auf die entschuldigenden Worte Jirias nichts, sie ihren Horizont belassendes zu erwidern.
Der letzte glühende Holzscheit zerfiel knisternd zu Asche und auch das schwach erhellende Glimmen erstarb in Dunkelheit. Das Haus stand seit Stunden in schlummernder Ruhe, dennoch ließ Saya ihre Augenbinde an – sie war vorsichtig genug, nichts einem unglücklichen Zufall überlassen zu wollen. Ihre freundliche Gastfamilie zu erschrecken oder zu verunsichern bei einer überraschenden Begegnung, lag ihren Absichten fern.
Der Wind hatte endlich nachgelassen, nichts stürmte oder pfiff mehr gegen die Fensterläden, aber sie hörte nach wie vor die prasselnden Regentropfen auf das Dach rieseln.
Das Unwetter hatte seine Wut verloren, doch Saya fehlte jedwede Sehnsucht ihre vollständig getrocknete Kleidung abermals in nässender Schwere um ihren Körper kleben zu spüren. Sie wappnete sich weiterhin mit wartender Geduld.
Was ihr mehr als schwer fiel, wie ihr leises Schnauben
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