Die Kinder Paxias
– geschweige denn Kenntnisse über ihre Reiche.“
„Ich habe eben eine gute Lehrmeisterin. Sie entstammt dem Reich des Meeres und ist somit selbst eine Figur der Sagenwelt Paxias.
Wir treffen uns heimlich vier Nächte in einer Mondphase, und sie weiht mich in die Geheimnisse Paxias ein, die uns Paxianern in der Regel verschlossen bleiben. Heute ist es wieder soweit.“
Cassia hielt lauschend inne, in ihre Augen trat ein erwartungsvoller Glanz.
„Der Regen hat aufgehört. Möchtest du mich begleiten und sie kennenlernen?“
Ein verlockendes Angebot – viel zu reizvoll, um es achtlos abzulehnen. Und es bedeutete, in seiner spannenden Erfahrungsbereicherung, nur eine unwesentliche Verzögerung im Vergleich zu den Ereignissen des Tages.
Die Aussicht einem weiteren Abkömmling aus den mystischen Reichen dieser Welt zu begegnen, diente nicht nur ihren persönlichen Interessen, sondern konnte auch den Verlauf ihrer Mission positiv beeinflussen. – Vorausgesetzt, das erwähnte Wesen verfügte über nutzbringendes Wissen und war bereit, es mit ihr zu teilen.
Dieser eingeredeten Überzeugung folgend, stimmte sie Cassias Vorschlag zu.
Sie verließen, wie es Cassias Gewohnheit war, das Haus durch das Fenster in dem Zimmer des Mädchens.
In friedlicher Dunkelheit lag es auch noch nach einigen Minuten hinter ihnen und gab ihnen beruhigende Gewissheit, dass weder Rourk noch Jiria unerwartet erwacht waren.
Ihre Laterne in der Hand, bewegte sich Cassia mit sicherer Gewandtheit durch die Nacht. Wie Saya schnell erkannte, steuerte sie den Küstenabschnitt an, den sie diesen Nachmittag als Raststätte genutzt hatte, bevor das Unwetter sie vertrieben hatte.
Die sandigen, teilweise mit Schilfgras überwucherten Dünen lagen bereits unmittelbar vor ihnen, als Cassia die anhaltende Stille zwischen ihnen wieder unterbrach.
„Vor zwei Jahren – als ich, wie so oft, meinen Vater auf seinem Fischerboot begleitet hatte – wurden wir von einem Sturm überrascht, der uns in dem plötzlich eintretenden, gewaltigen Wellengang zum Kentern brachte. Ich wurde aufs offene Meer hinausgeschleudert, viel zu weit, um schwimmend zum Ufer zu gelangen.
Ich hatte mein Leben schon aufgegeben, als sie mich rettete – und zu ihrer Freundin machte.“
Verstehen keimte in Saya empor, wie dieses enttarnende Kennenlernen eines Sagenwesens mit einer Paxianerin entstanden sein konnte. Bei einer Entscheidung um Leben und Tod, war Leben stets die bessere Wahl – auch ungeachtet der Folgen. Dem Meereswesen war es also nicht darum gegangen, eine Bekanntschaft zu provozieren. Sie war aus der Not entstanden und der nicht zu verleugnenden Tatsache, dass die offensichtliche Zähigkeit des Kindes einer hilfreichen Bewusstlosigkeit entgegengewirkt hatte.
Tief in Gedanken versunken, bemerkte sie Cassias abruptes Anhalten erst, als sie sie beinahe überrannte. Das Mädchen war am Scheitelpunkt der Düne stehengeblieben und wies mit ausgestrecktem Finger in seitliche Richtung, wo wuchtige Gesteinsansammlungen den Übergang zwischen Sandstrand und hohen Klippen bildeten. Die Klippenoberfläche wirkte glatt, abgerieben von der allgegenwärtigen Macht gewaltiger Wassermassen. Aber ganz unten, fast an ihrem Fuße, glaubte Saya eine von zackigen Steinen verborgene Einbuchtung auszumachen. Eine Öffnung, die sie an die Krater ihrer Heimat erinnerte – ein Grotteneingang vielleicht.
Cassia bestätigte ihre Vermutung.
„Siehst du da unten die Höhle? Das ist unser verabredeter Treffpunkt.“
Behände sprang das Mädchen die steile Düne hinab in den weichen Sand. Weniger vertraut mit den gegebenen Oberflächeneigenschaften, hörte Saya auf die Stimme der Vernunft und bevorzugte einen wesentlich behutsameren Abstieg mit Hilfe ihres Stabes.
Cassia hatte bereits den steinig werdenden Bereich passiert, als die Gelehrte sie einholte.
Aus der Nähe wirkten die düsteren Brocken, die ihre Körperhöhe teilweise um einiges überragten, nicht mehr nur beeindruckend, sondern regelrecht bedrohlich. Vor allem die messerscharfen Kanten und dolchartigen Ausbuchtungen, veranlassten zu respektvollem Abstand.
Auf ihrem Weg zu der Höhle galt es einige dieser gefährlichen Gruppierungen zu umrunden, dass sich Saya stark an ihr Wendigkeitstraining erinnert fühlte, dem das Ausweichen grundlegende Basis war.
Unberührt und von unbekümmerter Leichtigkeit, kletterte Cassia ebensolche Steine empor, um auf die Anhöhe zur Grotte zu gelangen. Ihre Furchtlosigkeit gegenüber
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