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Die Kinder vom Teufelsmoor

Die Kinder vom Teufelsmoor

Titel: Die Kinder vom Teufelsmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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märchenhaft gekleidet wie die himmelblaue Dame mit der großen Brille. Ein Mann trug ein buntes Clownskostüm und eine blauweiß-gewürfelte Zipfelmütze mit Troddeln und einer Schelle daran; einer hatte einen hellroten Kimono übergehängt, der mit silbernen Blumen bestickt war. Eine Dame hatte ein Kleid an, das aus lauter Zeitungen genäht zu sein schien. Auf ihrer Brust stand in großen Buchstaben »Schluß mit der Umweltverschmutzung! Wir fordern reine Luft und sauberes Wasser!« Darunter las man, in Schwarz und etwas kleiner »Die Mark ist nur noch 20 Pfennig wert. Wann wird sie endlich stabil?« Ein Herr hatte sich in das Fell eines Eisbären gezwängt, den Kopf des Tierkostüms aber nach hinten geklappt, damit er sich den Schweiß wischen konnte, der ihm reichlich über Stirn und Nase lief. Dann war da noch eine Dame in einem grünen indischen Sari, eine mit türkischen Pumphosen und einem Turban auf dem Kopf und schließlich ein Herr, der einen rotweiß-gestreiften knielangen Badeanzug trug und eine Schwimmweste umgeschnallt hatte. Das war der Kunstmaler Oskar Schlettmann, ihr Onkel. Da irgend jemand inzwischen eine elektrische Lampe eingeschaltet hatte, die aussah wie eine der vor fünfzig Jahren noch üblichen Gaslaternen, konnten die Kinder die bunte Gesellschaft in bestem Licht bewundern. Und die Damen und Herren hatten auch keine Mühe, die fast ebenso buntgekleidete Kindergruppe genau zu betrachten.
    »Bitte«, sagte die Himmelblaue, sich mit einem Glas in der Hand nach vorne schiebend, »hab' ich übertrieben? Sehen sie nicht wirklich aus, als wären sie vom neunzehnten Jahrhundert übriggeblieben?« Die Zeitungsdame lachte albern und nickte beifällig mit dem Kopf. Natürlich begriffen die größeren Kinder, daß hier ein Maskenfest gefeiert wurde und die Leute in den Narrenkleidern nicht mehr ganz nüchtern waren. Und sie wußten aus Erfahrung, daß man mit Betrunkenen im allgemeinen anders umgehen konnte als mit Nüchternen. Darum sagte Rolf geradeheraus: »Wir sind müde und haben Hunger. Laßt uns endlich rein, und gebt was zu essen her!« Einen Augenblick waren die Angesprochenen sprachlos. Dann aber brachen sie in lautes Gelächter aus.
    »Nein, wie himmlisch grob!« rief die Türkin. »Aber unverfälscht und ehrlich. Findet ihr nicht auch?«
    Ja, die andern Narren fanden es auch. Darum nahmen sie dem Jungen die dreisten Worte nicht übel, sondern lachten bloß. »Na, dann kommt man rein!« rief Oskar. »Ich denke, wir haben noch einiges im Haus, was euch schmecken wird. Ich wußte gar nicht mehr, daß ihr so viele seid.«
    Als er mit Rolfs und Ingelores Hilfe den Handwagen über die Schwelle hob und, weil er dabei leicht taumelte, mit den Seitenbrettern links und rechts am Türrahmen anstieß, wachten Willy und Birgit auf. Die beiden Kleinen erschraken so sehr über die bunte Maskerade vor, hinter und neben ihnen, daß sie gleichzeitig zu weinen begannen, Willy laut plärrend wie ein blecherner Plattenspieler und Birgit schluchzend mit reichlichem Tränenfluß.
    »Aber wer wird denn weinen!« rief die Inderin und streichelte Willy über das zottelige Haar. »Jetzt kriegt ihr was zu essen, und dann ist alles wieder gut.«
    So schnell überwanden die Kinder ihren Schreck jedoch nicht. Sie heulten und schluchzten weiter. Erst als sie in einem der dicken Sessel saßen und ein großes Stück Torte zugeschoben kriegten, beruhigten sie sich. Mit beiden Händen löffelten sie die farbenfrohe Mischung aus Marzipan, Krem und Sahne in den Mund und verteilten sie auch großzügig auf Haare, Backen, Kinn, Ohren und Hals. Rolf ging zu seinen kleinen Geschwistern hinüber.
    »Hört auf!« sagte er und hielt Willy die Hand fest. »Ihr versaut euch ja das ganze Zeug.« Er nahm eine Serviette und wischte Willy damit Gesicht, Kopf und Hände ab. Und dann fütterte er seinen Bruder mit einer Kuchengabel.
    Nachdem auch die Großen ein Riesenstück Torte und Unmengen von Gebäck gegessen hatten, fand Onkel Oskar es an der Zeit, sich mit den unerwarteten Gästen zu unterhalten. »Wie geht es eurer Mutter?« wandte er sich an Ingelore, die bleich und müde neben ihm auf der Couch saß. Das Mädchen hob die Schultern, ohne ihn anzublicken, und sagte: »Weiß nicht.« »Wieso?« wunderte sich Oskar. »Ihr müßt doch wissen, wie es eurer Mutter geht?«
    »Wissen wir nicht«, sagte Bodo, »weil sie abgehauen ist.« »Abgehauen?« fragte Oskar. »Willst du damit sagen, daß eure Mutter nicht zu Hause ist?«
    »Ja, was

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