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Die Kinder von Avalon (German Edition)

Die Kinder von Avalon (German Edition)

Titel: Die Kinder von Avalon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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zwischen Verhungern oder Erfrieren …«
    »… oder Ertrinken.«
    »Vielleicht nicht die schlechteste Alternative.« Er zitterte merklich, als er dies sagte. Siggi sah trotz der grünlichen Beleuchtung, dass seine Haut wächsern, fast blau wirkte. »Wir werden uns mindestens eine Erkältung holen für den Rest unseres Lebens«, meinte er, während er sich den Parka auszog. Er prüfte den Sitz des Schwertes in seinem Gürtel, während er sich die Jacke um die Hüften band. »Wer als Erster unten ist, hat gewonnen.«
    »Moment mal, warte, ich …«
    Siggi sprang.
    Der Schock des Aufpralls raubte ihm fast die Besinnung. Es war, als hätte man ihn in einen Eiskübel getaucht. Das Wasser war von einer beißenden Kälte, dass seine Haut brannte, und er hatte das Gefühl, seine Augäpfel müssten gefrieren. Nur durch einen Schleier erkannte er das dunklere Loch in der Tiefe, dort, wo der Gang sich öffnete. Mit krampfhaften Schwimmzügen kämpfte er sich darauf zu.
    Er hatte die Befürchtung gehabt, gegen eine Strömung ankämpfen zu müssen, wegen der Luftblasen, die aus der Tiefe aufgestiegen waren. Hier unten aber war nichts davon zu spüren. Siggi erreichte den Rand der Röhre. Mit beiden Händen packte er zu und zog sich hinein.
    Der Tunnel war breiter, als es von oben den Anschein gehabt hatte. Nicht breit genug, um darin schwimmen zu können, aber auch nicht so schmal, dass man sich nicht darin bewegen konnte. Zum Glück war der Schacht leicht nach oben geneigt. Man konnte die Wände mit den Händen greifen, und man hätte sich daran entlangziehen können, wenn sie nicht so glatt gewesen wären. So ging es nur langsam voran. Viel zu langsam.
    Siggi spürte förmlich, wie seine Kräfte nachließen. Die Kälte lähmte seine Muskeln, ließ das Blut stocken. Schatten lösten sich vom Rande seines Gesichtsfeldes, umflatterten ihn. Sein Mund füllte sich mit Luft, seine Wangen blähten sich. Er trieb dahin mit dem Strom, aber mit einem Mal wusste er, es würde nicht reichen.
    Siggi hatte immer Angst vor engen Räumen gehabt. Einmal, in einer Höhle, umgeben von Tausenden Tonnen festen Gesteins, hatte ihn die Panik gepackt. Wenn seine Schwester ihm damals nicht zugeredet hätte, wäre er dort vor Angst gestorben, unfähig, sich zu rühren. War es jetzt sein Schicksal, im eisigen Wasser dieser engen Röhre zu ersticken?
    Etwas griff nach seinen Füßen.
    In einem wilden, krampfhaften Reflex riss Siggi sich los. Der plötzliche Antrieb ließ ihn nach vorne schießen. Ein Sog ergriff ihn, zog ihn mit sich. Das Wasser ringsum wurde heller, im gleichen Maße, wie die Schatten um ihn dichter und dichter wirbelten.
    Er schoss heraus aus der Röhre in ruhiges Gewässer, ein Becken, in dem die Strömung verwirbelte. Er sah einen steinernen Grund auf sich zukommen, von geädertem Marmor, und einen endlos scheinenden Augenblick lang wusste er nicht mehr, wo oben und wo unten war. Dann drehte sich die Welt um ihn herum; Hände packten ihn an den Schultern und schoben ihn hinauf ins Licht.
    Siggis Kopf durchbrach die Wasserfläche, und süße, warme Luft strömte in seine Lungen.
    »Ha-ha-hag-g-gen?«
    »Hier.« Sein Freund war bei ihm und stützte ihn. Das schwarze Haar klebte ihm im Gesicht. Seine Haut war noch weißer, als Siggi dies in Erinnerung hatte. Seine Lippen waren blau angelaufen, die Augen rot gerändert. Aber er lebte. Sie beide lebten. Aber wo …
    »W-w-wo ist … hhhier?«
    Siggi richtete sich auf. Er kniete in einem marmornen runden Becken. Das Wasser reichte ihm gerade bis an die Brust. Vom Rand des Beckens führten Stufen hinauf – und hinein in eine fantastische Welt, wie er sie sich in seinen kühnsten Träumen nicht hätte ausmalen können.
    Es war ein achteckiger Raum, mit Nischen in den Seitenwänden, in denen mit ruhiger Flamme Lampen brannten. Ihr mattes goldenes Licht fiel auf einen reich gedeckten Tisch, der fast die Hälfte des Raumes auszumachen schien. Früchte standen darauf, in goldenen Schalen: Äpfel, prall und rot, Trauben und Birnen, saftige Kirschen, Pfirsiche und Pflaumen und Beeren aller Art. Dazwischen sah man Platten mit dampfendem Braten, Wild und Geflügel, Karaffen mit Wein, Kannen voll Wasser, Krüge mit Milch, Körbe angehäuft mit duftendem Brot und Teller, die überquollen vor Zuckergebäck. Alles war so frisch und neu, als sei es soeben erst zubereitet worden.
    »B-bin ich tot?«
    »Wir sind es bald«, sagte Hagen schlotternd, »wenn wir nicht aus diesen nassen Sachen herauskommen.«

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