Die Kinder von Avalon (German Edition)
den Mund.
»Brân«, sprach er mit einer dröhnenden, ehernen Stimme. »Ich bin Brân. Willkommen, Söhne der Erde, in Ynis Witrin.«
4.
Der Mantel des Barden
Gunhild nippte an dem heißen Tee. Es war kein schwarzer Tee, wie man ihn in England gewöhnt war; er schien vielmehr aus verschiedenen Kräutern aufgebrüht zu sein. Zumindest schmeckte er süß, nach Honig, und er wärmte von innen. Sie umklammerte die Blechtasse mit den Fingern, damit auch etwas von der Wärme in ihre Hände strömte, die immer noch kalt und gefühllos waren. Das Feuer flackerte auf und erhellte die Gestalt ihres Retters, der einen weiteren Arm voll Holz auf die Flammen geworfen hatte, um sie zu nähren.
Jetzt, bei Licht betrachtet, war gar nicht mehr so viel Geheimnisvolles an ihm. Er war ein nicht einmal sehr großer, alter Mann. Er trug einen alten blauen Mantel, vielfach geflickt und ausgebessert und nicht besonders sauber, und auf dem Kopf einen breitkrempigen Hut. Es war die Krempe dieses Hutes gewesen, die Gunhild in der Aufregung für Hörner gehalten hatte. Welch ein Unsinn! Unwillkürlich lächelte sie bei dem Gedanken.
»Oh!«, sagte der Fremde mit einer tiefen, volltönenden Stimme. »Du lachst ja schon wieder. Das ist gut.«
Er wandte ihr das Gesicht zu. Es war wettergegerbt mit einem schütteren Bart und es hatte, wie jedes normale Gesicht, zwei Augen, auch wenn eines davon im Schatten lag. Plötzlich wusste Gunhild, wo sie dieses Gesicht schon einmal gesehen hatte:
»Der Landstreicher!«, rief sie aus. »Ich meine … der fahrende Händler, dem wir auf dem Weg begegnet sind. Sie waren das!«
Der Fremde runzelte die Stirn. »Sind wir uns schon begegnet?«, fragte er, in einer Art, dass nicht ganz klar wurde, ob er die Frage an sie oder an sich selbst richtete. »Vielleicht«, fuhr er fort, »aber das muss lange her sein. In einem anderen Leben …«
»Nein! Heute Mittag, auf der Straße. Sie trugen so einen Weidenkorb auf dem Rücken. Mein Vater hat Sie nach dem Weg gefragt. Erinnern Sie sich nicht? Der graue Wagen … und dann haben Sie mir gesagt, ich solle mich vor dem Grünen Mann in Acht nehmen.«
»Vor dem Grünen Mann?« Die Stimme des Alten klang ungläubig. »Ich hätte dich eher vor den Hunden Annwns warnen sollen, mein Kind. Weißt du, warum sie hinter der her waren? Es ist selten, dass sie jagen, und dazu noch ohne ihren Herrn … seltsam, in der Tat.«
Gunhild hatte schon protestieren wollen, als er sie mit »mein Kind« ansprach, doch bei seinen folgenden Worten schluckte sie die Bemerkung wieder hinunter. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sollte sie dem merkwürdigen Fremden von dem Steinkreis erzählen und dem Einhorn? Oder gar von ihrem Kristall, der ihr den Weg gewiesen hatte?
Der Mann hatte ihr geholfen, gewiss. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was geschehen wäre, wenn er nicht so beherzt dazwischengetreten wäre und die Kreaturen der Finsternis nicht mit dem brennenden Ast in die Flucht geschlagen hätte. Das Feuer hatte sich als sehr wirksame Waffe erwiesen; ja, im Nachhinein war sie regelrecht verblüfft, dass ihre unheimlichen Verfolger so schnell von ihr abgelassen hatten. Konnte sie ihm wirklich so weit trauen?
»Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Sie haben mir das Leben gerettet, und ich weiß nicht einmal, mit wem ich die Ehre habe.« Sie dachte, dass es das Vernünftigste wäre, es mit Höflichkeit zu versuchen.
Der Mann knurrte etwas in seinen Bart.
»Wie bitte?«, fragte Gunhild.
»Hmmm«, machte der Alte. »Nicht nötig, mich zu Ihrzen und zu Euchzen, das macht keiner. Und was meinen Namen betrifft, so nenn ich mich mal so, mal so, aber die Leute hier kennen mich als Tinker Tally.«
»Tinker?« Es klang eher wie eine Art Spitzname oder Berufsbezeichnung als nach einem Vornamen. »Was heißt das?«
»Na, das hier.« Er wies mit einer Handbewegung auf den Kastenwagen, der am Rande der Lichtung stand.
Gunhild sah sich den Wagen näher an. In dem flackernden Licht des Feuers war es schwer, Einzelheiten zu erkennen, aber er sah aus wie eine Art Zigeunerwagen mit einer Plane darüber, die auf hohe Reifen gespannt war, so wie bei einem Planwagen aus dem Wilden Westen. Der Kasten des Wagens war bunt bemalt in Rot und Gelb und Blau, mit Sternen und Ornamenten. Doch man sah nur wenig davon, weil die Seiten über und über behangen waren mit Töpfen und Tiegeln, Kellen und Löffeln, Backformen, Sieben und anderen Gerätschaften aus Kupfer, Messing und Zinn. Im Schatten des
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