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Die Kinder von Avalon (German Edition)

Die Kinder von Avalon (German Edition)

Titel: Die Kinder von Avalon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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Schwer auf seinen Speer gestützt, machte er sich daran, die flachen Stufen hochzusteigen. Als Siggi keine Anstalten machte, ihm zu folgen, drehte er sich noch einmal um. »Komm, ich helfe dir.«
    Auf Marmorbänken in den Nischen zur Rechten und zur Linken des Wasserbeckens lagen Decken und Tücher bereit, mit denen man sich abtrocknen konnte. Siggis Finger waren zu steif, um den von Eiswasser durchtränkten Knoten zu lösen, mit dem er sich den Parka um die Hüften befestigt hatte. Hagen, dem es fast noch schlimmer ging als ihm, musste ihm dabei helfen, sich davon zu befreien. Ihre nassen Kleider klebten auf der Haut und ließen sich nur mit Mühe ablösen. Schnatternd vor Frost hüllten sie sich in die flauschigen Decken, so gut sie es konnten.
    »Jetzt was Warmes«, bibberte Siggi.
    »Da … das dampft. Das muss heiß sein.« Hagen griff nach einer Karaffe und öffnete den Deckel. »Glühwein – oder so was Ähnliches.«
    Er goss zwei kristallene Pokale voll und setzte die Kanne wieder ab. Siggi hatte bereits nach einem der Gläser gegriffen. Es fühlte sich herrlich warm in den Händen an. »Ob man das wirklich trinken kann?«, meinte Hagen mit einem Hauch von Zweifel.
    Siggi sah ihn über das dampfende Glas hinweg an. »Du meinst, ob es vielleicht giftig ist, oder was?«
    »Ich meine, ob sich vielleicht alles hier in Nichts auflöst, sobald wir davon kosten«, sagte Hagen.
    Siggi grinste.
    »Es gibt nur einen Weg, das rauszufinden.« Er setzte den Pokal an die Lippen und trank.
    Die heiße Flüssigkeit rann ihm durch die Kehle und sammelte sich in seinem Magen. Wie flüssiges Feuer, das durch die Adern rinnt, breitete sich die Wärme von dort in seinen ganzen Körper aus, in alle Gliedmaßen, bis in die Fuß- und Fingerspitzen hinein. Es war eine wohltuende Glut. Zum ersten Mal seit Stunden – oder waren es Ewigkeiten – fühlte Siggi sich wieder als ein lebendiger Mensch.
    »Du glühst.«
    »Trink. Es wird dir gut tun.«
    Hagen trank, zuerst vorsichtig, dann einen zweiten, tieferen Schluck. Die wächserne Blässe seines Gesichtes verschwand und machte einer rosigen Wärme Platz.
    »Das ist wirklich gut.«
    »Und jetzt lass uns was essen!«
    Mangels Besteck mussten sie mit den Händen zugreifen. Siggi schnappte sich ein Stück Brot und klatschte eine Scheibe Braten darauf. Herzhaft biss er hinein, dass der Bratensaft ihm übers Kinn lief.
    »Sollten wir nicht vielleicht erst auf unseren Gastgeber warten?«
    »Auf wen?«, fragte Siggi mit vollem Mund.
    »Na, irgendjemandem muss das hier ja gehören. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das alles für uns gedacht ist.«
    »Jetzt red nicht so viel, sondern iss!« Ihr geheimnisvoller Gastgeber würde schon Verständnis für sie haben. Hoffte er zumindest.
    Sie aßen und tranken, bis sie glaubten, sie müssten platzen. Hagen war irgendwann vom Wein zum Wasser übergegangen, aber Siggi hatte sich an den Glühwein gehalten, bis er wie auf einer warmen Wolke zu schweben schien.
    Die ganze Welt war in eine rosige Glut getaucht. Satt und zufrieden ließ Siggi seinen Blick über den Tisch schweifen. Obwohl sie den Gerichten reichlich zugesprochen hatten, schien es ihm, als hätte die Fülle des Angebots kaum abgenommen. Wer das Ergebnis von Festessen im Familienkreis kennt, von Hochzeiten oder Begräbnissen, bei denen an irgendeinem Punkt der Feier das Bankett aussieht wie ein zerrupftes, abgenagtes Hühnchen, musste sich wundern. Diese Tafel wirkte so, als hätte man sich sofort wieder daran niederlassen können, um erneut mit dem Mahl zu beginnen. Nur etwas stand darauf, das ihm bislang trotz seiner Größe seltsamerweise nicht aufgefallen zu sein schien.
    In der Mitte des Tisches, zwischen Bratenschüsseln und Saucieren, erhob sich eine seltsame Dekoration. Es war ein aus Bronze gearbeiteter Kopf. Alle Züge waren darin bis ins feinste Detail ausgearbeitet. Jedes einzelne Haar war naturgetreu geformt und doch mit höchster Kunst stilisiert. Das Einzige, was daran, abgesehen vom Material, unnatürlich wirkte, waren die Ausmaße: Der Kopf war mindestens doppelt so groß wie der eines gewöhnlichen Menschen.
    »Was sagst du dazu?«, fragte Siggi staunend.
    Hagen runzelte die Stirn. Auch er war so gesättigt, dass ihm das Denken schwer fiel. Er legte das letzte, halb verzehrte Stück Backwerk beiseite und streifte sich die Krümel von den Fingern. »Seltsam«, meinte er. »Das sehe ich jetzt zum ersten Mal. Was mag das sein?«
    Der Kopf schlug die Augen auf und öffnete

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