Die Kinder von Avalon (German Edition)
Karrens stand ein Tier, das wie ein kleines Pferd mit langen Ohren aussah – ein Maulesel, vermutete Gunhild. Es lehnte gegen den Wagen und mampfte Futter aus einem umgehängten Sack.
»Ich … ich meine … so was wie ein Vertreter?« Sie hatte »Zigeuner« sagen wollen, ehe ihr plötzlich in den Sinn gekommen war, dass das wohl politisch nicht ganz korrekt war.
»Ein Kupferschmied. Andere sagen auch Kesselflicker dazu. Es ist ein alter, ehrbarer Beruf«, erklärte der Mann. »Ich flicke alles und jedes. Wenn etwas kaputt ist oder zerbrochen, wenn eine Achse quietscht oder ein Rad eiert, frage Tinker Tally, und er richtet es wieder her. Wie durch Zauberei!«
»Auch Autos, zum Beispiel?«, fragte Gunhild misstrauisch.
Der Alte sah sie an. In seinen schwarzen Augen, die polierten Steinen glichen, war nichts zu lesen. »Ich hab’s noch nicht versucht«, meinte er dann. »Aber ich trau mir viel zu.«
Gunhild konnte sich den Alten schlecht im Mechaniker-Overall unter einem Auto vorstellen. »Ich habe gar nicht gewusst, dass es hier so etwas noch gibt«, meinte sie dann. »Aber reich werden kann man dabei wohl nicht, schätze ich«, fuhr sie fort, mit einem Blick auf seinen abgewetzten und geflickten blauen Umhang.
Dem Alten waren ihre Blicke nicht entgangen. »Oh«, tönte er, »früher, da war ich reich! Die Könige haben mir Gold gegeben, wenn ich sie mit meinem Besuch beehrte, Armreife und Juwelen. Diesen Mantel gab mir der Hochkönig selbst – aber das ist lange her.«
»Der … der Hochkönig.« Gunhilds Stimme klang skeptisch. »Und wofür, wenn ich fragen darf?«
»Es ist der Mantel des Barden«, erklärte er. »Ich zeige es dir …«
Er griff nach etwas, das neben ihm im Gras lag. Es war eine Art Kasten mit einem Rahmen daran, und von dem oberen Arm des Rahmens spannte sich so etwas wie ein Netz – und plötzlich fiel es Gunhild wie Schuppen von den Augen: Es war eine Harfe! Viel kleiner als eine Konzertharfe, wie sie sie schon einmal in der Stadthalle gesehen hatte, und aus braunem Holz gearbeitet. Der Klangkörper war mit verschlungenen geschnitzten Ornamenten verziert.
Ein alter Zigeuner mit einer Harfe? Wie ein Engelchen im Himmel? Die ganze Szene wurde immer verrückter.
Der Alte drehte an den Flügeln und spannte die Saiten nach. »Ein solches Instrument muss man immer erst stimmen, bevor man es spielt«, erklärte er, »sonst klingt es scheußlich. Ah, eine Harfe, die immer den Ton halten würde, das wäre ein mächtiges Zauberwerk!«
Dann ließ er die Finger versuchsweise über die Saiten streichen. Die Töne, dünn aber rein, perlten über die Lichtung, und mit einer erstaunlich klaren, volltönenden Stimme begann er zu singen:
»Erster Oberbarde bin ich von Prydain,
Und mein Herkunftsland ist die Region der Sommersterne.
Ich bin ein Wunder, dessen Ursprung niemand kennt,
Ich war schon beredt, eh ich die Gabe der Sprache erhielt.
Neun Monate war ich im Schoß der Göttin Dôn,
Aus dem Kessel Ceridwens habe ich Weisheit empfangen.
Ich war mit Brân in Erin,
Vierzig Jahre speiste ich mit ihm am verborgenen Ort.
Ich war dabei, als Mordydd Tyllion erschlagen wurde,
Manawyddan und Pryderi wissen es.
Ich war in der Schlacht mit Llew Llaw Gyffes,
Als sich die Bäume in Krieger verwandelten.
Und als ich mit Arthur zog, bei seinen herrlichen Taten,
Kehrte außer Sieben keiner zurück von Caer Siddi.«
Gunhild saß da mit offenem Mund. Von den fremdartigen, melodiösen Namen kannte sie so gut wie keinen, doch es schienen sich Geschichten dahinter zu verbergen, seltsame und abenteuerliche Begebenheiten, die im Dunkel der Legende verschwunden waren. Darüber hinaus schien ihr der merkwürdige alte Mann aber auch ein bisschen was von einem Geheimnistuer und Angeber an sich zu haben. Bei Leuten, die von sich behaupteten, überall dabei gewesen zu sein, war sie immer vorsichtig.
Sie stellte die Blechtasse auf den Boden. »Vielen Dank für alles«, sagte sie. »Aber ich glaube, ich muss jetzt wieder gehen. Ich habe meinen Eltern versprochen, zum Abendessen zurück zu sein.« Es klang nicht sehr überzeugend, und sie selbst fand den Gedanken in Anbetracht der Lage irgendwie absurd.
»Du kannst nicht zurück«, sagte der Alte. »Es wird bald finster sein. Und was wirst du tun, wenn die Hunde Annwns deine Spur wiederfinden?«
Gunhild schluckte. Sie hatte den Gedanken an die schwarzen Geschöpfe, die sie gejagt hatten, fast schon verdrängt. »Aber meine Eltern werden sich Sorgen machen«,
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