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Die Kinder von Avalon (German Edition)

Die Kinder von Avalon (German Edition)

Titel: Die Kinder von Avalon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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sagte sie zaghaft. »Können Sie …« Die Anrede erschien ihr immer noch angebrachter, als den alten Mann zu duzen. »Können Sie nicht vielleicht … ein Stück mitgehen …?« Vor ihrem geistigen Auge sah sie den schwarzen Tunnel aus Laubwerk, durch den die Straße hindurchführte, und ihr schauderte.
    »Ich weiß, es ist viel verlangt«, fuhr sie hastig fort, »aber ich denke, dort in dem Gasthof wird es bestimmt auch ein Zimmer für Sie geben, das gemütlicher ist als hier im Wald – oder einen Platz in der Scheune oder sonst was …« Ihre Eltern würden sicher nicht erbaut sein, wenn sie einen alten Landstreicher mitbrachte. Aber vielleicht waren sie froh genug, wenn ihre Tochter wieder bei ihnen war, dass sie in kein großes Geschrei ausbrechen würden. »Es ist nicht weit«, fügte sie noch hinzu.
    Der Alte seufzte. »Ich kann dich kaum alleine gehen lassen, Kind«, sagte er. »Also werde ich dich mit dem Wagen hinbringen, obwohl ich nicht weiß, wo diese Herberge sein mag.« Ächzend erhob er sich.
    »Warten Sie«, rief Gunhild und sprang auf. »Ich helfe Ihnen beim Einpacken.«
    Sie wollte gerade nach der Harfe greifen, die der Alte neben sich ins Gras gestellt hatte, als ein scharfes »Nein!« sie innehalten ließ.
    »Nur ein Barde darf die Harfe eines Barden berühren«, sagte der Alte streng. »Weißt du denn überhaupt nichts über die alten Sitten und Gebräuche?«
    Gunhild hob die Hände. »’tschuldigung«, sagte sie. »War nicht so gemeint.« Sie musste bei diesem seltsamen Kauz in der Tat etwas vorsichtig sein. »Ich kann auch ein bisschen singen«, fügte sie hinzu. »Natürlich nicht so gut wie Sie.«
    »Ein bisschen singen!«, knurrte der Alte, während er sich mit erstaunlich geschickten Handgriffen daranmachte, die Harfe in einem großen Ledersack zu verstauen. »Als ob es damit getan wäre … Sänger, cler, kann sich jeder nennen, der es versteht, wie eine Fliege zu summen, und darum gibt es für beides auch nur ein Wort in der Sprache von Prydain. Doch als Dichter, prydydd, darf sich erst bezeichnen, wer die vier Zweige des Mabinogi auswendig kennt und sieben Legenden von Göttern und Königen und dreimal neun Triaden. Doch erst wer vom König eine Harfe erhält, hat den Rang eines Hofbarden, bardd teilu, und von dieser Harfe darf er sich nie mehr trennen, weder bei den Gelagen am Hof noch im Getümmel der Schlacht. Drei Pflichten hat der Barde: Fröhlichkeit, Großzügigkeit und Höflichkeit. Er singt für die Krieger, wenn sie zur Heerfahrt aufbrechen und bevor sie in die Schlacht ziehen; er stärkt ihren Mut im Kampf; und wenn sie siegreich sind, dann preist er ihre Taten, und wenn sie verlieren, dann trauert er um die Gefallenen. In der Halle singt er das Lob des Königs, und im Gemach der Königin von Liebe und Leid, um so die Vergangenheit für die Gegenwart zu bewahren.«
    »Und so ein Barde sind Sie?«, bemerkte Gunhild, ein wenig überwältigt von dem Redeschwall des Alten.
    »Dies alles bin ich und mehr. Ich bin der Oberbarde, pencerdd, und diesen Titel habe ich im Wettstreit gegen die größten Barden von Prydain gewonnen. Damals nannte man mich Taliessin, den mit der leuchtenden Stirn …« Während er sprach, hatte er das Geschirr aufgesammelt, das um das Feuer herumlag, und stopfte es jetzt unzeremoniell in das hintere Ende des Wagens. »Aber das ist lange her … Komm, hilf mir das Maultier anzuschirren!« Das Muli, das im Windschatten des Wagens gestanden und sein Heu gefressen hatte, schnaubte widerwillig, als sie näher kamen. Es war ein schönes Tier mit großen Augen. Seine langen, beweglichen Ohren zuckten. Es trug noch das Zaumzeug; so machte es wenig Mühe, ihm das Geschirr überzustreifen. Der Wagen, ein Einspänner, besaß vorne eine gegabelte Achse, die mit Riemen am Geschirr befestigt wurde. Zwei weitere Zugstränge führten zu dem Kummet, das um den Hals des Tieres lag. Gunhild machte sich daran, die Schnallen zu schließen.
    »Du machst das sehr geschickt«, stellte der Alte fest, während er den Bauchgurt festzurrte. »Verstehst du etwas von Wagen und Pferden?«
    »Nein«, sagte Gunhild wahrheitsgemäß. »Mit Pferden habe ich keine Erfahrung. Oder mit Mulis.«
    Der Alte sah sie nachdenklich an. Dann trat er ans Lagerfeuer, das nur noch vor sich hin gloste, und hielt einen Ast in die Glut, bis das Ende aufflammte. Gunhild hatte sich schon gefragt, wie sie bei Nacht ihren Weg finden sollten. Jetzt sah sie, dass rechts und links an der Vorderseite des Wagens

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