Die Kinder von Avalon (German Edition)
interessieren«, warf Hagen wie nebensächlich ein, während er seinen Mantel zurechtrückte. »Wie sind Eure Freunde von hier entkommen? Durch das Wasserbecken, wie wir, und das Labyrinth aus Glas? Gibt es eine Möglichkeit, dort den Ausgang zu finden?«
»Warum sollten sie schwimmen?«, hatte der Kopf geantwortet. »Natürlich sind sie durch eine der Türen gegangen, die von hier nach draußen führen.«
Hagen und Siggi sahen sich an.
»Aber ich sehe keine Tür!«, sagte Siggi.
»Ich zeige sie euch.«
Und plötzlich erblickten sie auf der anderen Seite der Halle, jenseits des reich gedeckten Tisches, zwei Türen. Siggi und Hagen hätten beide schwören können, dass da vorher nichts gewesen war, doch vielleicht hatten sie auch einfach nicht genau hingesehen. Jedenfalls gab es da Türen, und sie waren nicht mehr wegzuleugnen. Die eine davon war weiß und mit Gold beschlagen, sodass sie leuchtete wie der Tag, die andere schwarz und mit angelaufenem Silber verkleidet, dunkel wie die Nacht.
»Dann«, hatte Hagen gesagt, »wollen wir Eure Gastfreundschaft nicht länger in Anspruch nehmen.«
Und der Kopf lachte.
Siggi und Hagen waren um den Tisch herumgegangen und standen nun unschlüssig vor den beiden Türen.
»Und welche von denen ist die richtige?«, fragte Hagen.
»Das«, kam die Stimme des Kopfes von hinten, »muss jeder von euch für sich selbst entscheiden.« Der Ausdruck seines Gesichts war nicht zu erkennen, da der Kopf immer noch starr gen Westen blickte, in Richtung des Wasserbeckens. Von hier aus sah man nur die fein ziselierten Strähnen des Hinterhaupts. »Nur eine von diesen Türen öffnet sich nach Prydain. Die andere führt nach Annwn, ins Schattenreich.«
»Und welche …«
»Diesen Scherz müsst ihr mir lassen, Söhne der Erde«, hallte die Stimme ins Nichts, »damit ich etwas habe, worüber ich mich amüsieren kann in den leeren Zeiten, die vor mir liegen. Für jeden gibt es nur eine Tür. Die eine bedeutet Leben, die andere Tod. Die Entscheidung liegt bei euch …«
»Dieser Hohlkopf!«, brauste Siggi auf. »Ich schlag ihm eine Beule in seinen Blechschädel …«
Hagen hielt ihn zurück. »Es hat keinen Zweck«, meinte er. »Er wird uns nichts verraten. Welche Tür es auch ist, wir müssen es selber herausfinden.«
»Ich bin für die goldene«, sagte Siggi spontan. »Du hast doch gehört: Die eine führt ins Schattenreich. Das muss die schwarze sein.«
Hagen runzelte die Stirn. »Ich bin mir nicht sicher. Die Lösung scheint mir zu einfach. Die schwarze Tür führt in den Tod, die weiße ins Leben. Aber vielleicht ist es ja ein Trick; vielleicht ist es genau umgekehrt. Waren die Hunde von Annwn, die der Piskey uns gezeigt hat, nicht weiß?«
»Das ist mir zu hoch«, sagte Siggi. »Ich bin jedenfalls für die helle. Die ist mir sympathischer.«
»Dann nehme ich die andere«, erklärte Hagen. »So wird wenigstens einer von uns durchkommen.«
»Aber sollten wir nicht besser zusammenbleiben, damit wir uns gegenseitig helfen können?«
»Was immer wir tun, wird richtig oder falsch sein. Es ist ein Spiel mit vielen Lösungen, und es gibt keine Möglichkeit, die richtige vorherzusagen.«
»Manchmal glaube ich, du denkst zu viel«, meinte Siggi. Dann streckte er die Hand nach dem goldenen Türknauf aus und öffnete die Tür. Durch das Türblatt war Hagen die Sicht versperrt, sodass er nicht erkennen konnte, was sich dahinter verbarg. Siggi holte tief Luft, dann tat er mutig einen Schritt nach vorn, und die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.
Hagen stand immer noch unschlüssig da. Er horchte, aber nichts war zu hören. Kein Schrei, weder einer der Freude noch einer des Entsetzens; kein Waffengeklirr; kein Heulen und Zähnefletschen. Er warf einen Blick zurück zu dem bronzenen Kopf auf dem Tisch. Der rührte sich nicht; er sagte auch nichts mehr. Das Echo seines Gelächters schien noch im Raum zu hängen.
Vorsichtig ging Hagens Hand zu dem silbernen Knauf. Er zog daran. Nichts geschah. Die Tür rührte sich nicht.
Hagen runzelte die Stirn. Die andere Tür hatte sich ohne weiteres aufziehen lassen. Einer plötzlichen Eingebung folgend drückte er gegen das Türblatt. Es gab fast ohne Widerstand nach.
Hagen versuchte, durch den Spalt zu spähen, konnte aber nichts erkennen. Sein Blick ging zu der anderen Tür. Sollte er nicht doch vielleicht diese wählen?
Er stieß die Tür auf. Dahinter war … nichts. Eine gestaltlose Ungewissheit. War dies Annwn, die Schattenwelt? Er streckte den
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