Die Kinder von Avalon (German Edition)
den Echos derer zu verbringen, die einst hier waren. Wollt ihr wirklich schon gehen?«
Nachdem der erste Schock überwunden war, hatten Siggi und Hagen festgestellt, dass das sprechende Haupt alles andere als eine Tischdekoration war. Es war auch keine Maschine, obwohl es ganz aus Metall zu bestehen schien, sondern es war auf eine unerklärliche Art lebendig. Sofern man das von einem Kopf ohne Körper behaupten konnte.
»Ich bin Brân«, hatte der Kopf gesagt. Und während sie noch staunend auf dieses sprechende Wunderwerk starrten, hatte er begonnen, seine Geschichte zu erzählen.
Nicht die ganze Geschichte. Nur so viel, dass er einst zu einer gewaltigen Heerfahrt aufgebrochen war, in ein Land jenseits des Meeres, und dass es dort einen großen Krieg gegeben hatte, in dem viele Menschen getötet wurden. »Und außer mir kehrten nur sieben zurück, und sie brachten die vier heiligen Schätze von Erin mit sich: den Kelch, den Stein, das Schwert und den Speer …«
Hagen und Siggi sahen sich an.
»Dieses Schwert?«, fragte Siggi.
»Und diesen Speer?«, fragte Hagen.
»Kommt näher«, sprach das Haupt, »Damit ich sie sehen kann. Denn es ist leider so, dass ich meinen Kopf nicht mehr wenden und nur noch in eine Richtung blicken kann, nach Westen, tagaus, tagein. Ah«, fuhr es fort, »das Schwert. Und der Speer.« Es runzelte die Stirn, dass das Lampenlicht auf den feinen Riefelungen der Bronze schimmerte. »Sind sie es, oder sind sie es nicht? Als meine Augen sie zuletzt erblickten, war mein Kopf noch aus Fleisch und Blut. Damals sah ich anders als heute.«
»Aus Fleisch und Blut?«, sagte Siggi erstaunt, und Hagen fragte nach: »Aber wie kam dann diese … diese Verwandlung zustande?«
»Oh«, begann das Haupt, »wir feierten hier eine endlose Zeit, doch während mein Zauber meine Gefährten so jung und alterslos hielt, wie sie gewesen waren, war dieser Kopf bereits von seinem natürlichen Körper getrennt, und über totes Fleisch hat der Bann keine Macht. So begann das Haupt zu verwesen, was bei einem solchen Festgelage nicht das Angenehmste ist. Es verdirbt den Appetit, wisst ihr?« Es lachte blechern über seinen eigenen Scherz. »Darum bat ich Govannon mab Dôn, den kunstreichsten aller Schmiede, den Prydain je hervorgebracht hat, es mit Bronze zu umgeben, und so tat er es, Stück für Stück, Haar um Haar, Zelle um Zelle. Bis schließlich von dem ursprünglichen Fleisch und Gebein nichts mehr übrig war, nur noch ein Abbild aus Bronze. Aber manchmal«, fuhr es leise fort, »jagen sich die Gedanken in der hallenden Leere des Schädels.«
»Und was ist aus Euren Gefährten geworden?«
»Irgendwann mussten sie gehen. Vierzig Jahre lang habe ich sie hier unterhalten, mit Scherzen und mit Geschichten, mit Liedern und Sprüchen. Doch irgendwann versiegte der Quell der Weisheit, und die zaubermächtigen Söhne Dôns erinnerten sich an das Leben draußen. Und dann gingen sie und nahmen alles mit, was sie besaßen, Schwert und Speer, Stein und Kelch. Mir blieben nur ihre Echos, die wie Schatten in diesen Hallen verweilen.«
Und Hagen und Siggi erschien es, als wären sie umgeben von mächtigen Gestalten, gekleidet in vielfarbige Gewänder, das Braun der Erde und das Blau des Himmels, das Grün der Wellen und das Gold der Sonne. Größer als im wirklichen Leben erschienen diese Schatten der Vergangenheit in der beengten Halle. Sie drängten von allen Seiten, nahmen ihnen die Luft zum Atmen.
»Wir müssen dieses Ding fragen, wie wir hier rauskommen«, flüsterte Siggi Hagen zu.
»Das halte ich nicht für besonders klug«, gab dieser ebenso leise zurück. »Lass mich nur machen. Ich habe schon einen Plan.«
»Aber jetzt«, dröhnte der Kopf weiter, »seid ihr hier und so werdet ihr mir, hoffe ich, Gesellschaft leisten und bei mir bleiben auf lange Zeit.«
»Dann müssen wir erst einmal etwas zum Anziehen finden«, hatte Hagen listig eingewandt. »Denn in unseren alten Klamotten sind wir für ein Festgelage nicht richtig angezogen – und in diesen Decken erst recht nicht.«
»Das«, hatte der Kopf erwidert, »dürfte das Geringste sein, was ich für euch tun kann. Dort in den Nischen findet ihr alles, was ihr benötigt.«
Und in der Tat, dort fanden sich Kleider und Mäntel und selbst eine Scheide für Siggis Schwert, in die es genau hineinpasste. Und sobald sie die zunächst ungewohnt wirkenden Gewänder angezogen hatten, war ihnen, als hätten sie nie etwas anderes getragen.
»Eines würde mich noch
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