Die Kinder von Avalon (German Edition)
ist ganz leicht, die Wahrheit herauszufinden.«
»Wie meinst du das?«
»Schauen wir nach!«
Es waren nur wenige Schritte zwischen den Felsen hindurch, da standen sie auch schon im Freien.
Vor ihnen erhob sich, umtost von den schäumenden Wellen, eine Burg. Auf einer vorspringenden Landzunge gelegen, einem Felsmassiv, das sich der anbrandenden Flut entgegenstemmte, war sie nur durch eine Brücke mit dem Festland verbunden. Die steilen, schmalen Klippenpfade, die sich zu dem Übergang hinzogen, waren ohne Geländer und schlüpfrig von der ewigen Gischt. Wer sich dort hinabwagte, im Angesicht des böigen Windes, der musste schon einen besonderen Mut aufbringen.
»Dort soll ich runtergekommen sein?«, sagte Gunhild zu sich selbst. »Mit dem Wagen? Und bei Nacht? Das ist Wahnsinn!«
Sie wandte sich zu Hagen, aber der hatte gar nicht hingehört. Seine Aufmerksamkeit galt vielmehr etwas, das er auf dem Strand sah.
Im Schutz der Felsen, auf dem schmalen, halbmondförmigen Sandstreifen, den die Ebbe freigelegt hatte, brannte ein Lagerfeuer. Es war eine der einfachsten Arten eines menschlichen Herdes, nicht mehr als eine Mulde im Sand, umgeben von einem Kreis größerer Steine. Qualm stieg davon auf, weil das Holz zu feucht war. Aber selbst in dem Rauch und den züngelnden Flammen konnte man noch erkennen, dass das Holz einst bunt bemalt gewesen war, blau mit goldenen Sternen.
Die Gestalt, die neben dem Feuer hockte, war nicht mehr als ein Schatten in der Morgendämmerung. Die andere, die sich über ihn beugte, war in helle Gewandung gekleidet. Ihr blondes Haar und der feuerrote Mantel, der ihr um die Schultern wehte, flatterten im Wind. In der Hand hielt sie ein blitzendes Schwert.
»Siggi!«
Der junge Mann mit dem Schwert wandte sich nicht einmal um. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf den anderen gerichtet, der vor ihm im Sand kauerte.
»Hagen!« Seine Stimme klang scharf und klar in der Morgenkühle. »Wurde auch Zeit, dass du kommst.«
»He, Siggi«, Hagen begann zu laufen, »schau, wen ich mitgebracht habe.«
»Siggi!«
Das einzelne Wort genügte, um Siggi herumwirbeln zu lassen. Es hätte nicht viel gefehlt, und das Schwert wäre ihm aus der Hand gefallen. Sein Mund stand offen, seine Augen waren ungläubig aufgerissen.
»Gunhild?«
»Ja«, sagte Hagen anstelle einer Erklärung, »es ist Gunhild. Doch das ist eine zu lange Geschichte, um sie hier zu erzählen. Aber …« Seine Schritte wurden langsamer. »Aber wer ist das?«
Siggi wandte sich wieder dem Mann zu, der neben dem Feuer hockte. »Ich habe ihn hier am Strand gefunden. Erkennst du ihn nicht?«
Eine steile Falte bildete sich zwischen Hagens Brauen. »Ich erinnere mich. Der dunkle Mann. Ist er es wirklich?«
Der Mann am Boden sah zu ihnen auf.
»Schwert und Speer«, sagte er, wie zu sich selbst. »Erst der Stein, und dann diese beiden. Drei Schätze, fehlt nur der vierte. Der Kelch, an seinem geheimen Ort in Caer Siddi. Nun, junger Bär«, sagte er, als Siggi sein Schwert hob, »willst du wieder mit mir streiten? Und du, junger Löwe mit der sicheren Hand, leg deinen Speer beiseite!«
»Er redet irre«, meinte Siggi.
Aber Hagen zweifelte. »Da bin ich mir nicht so sicher. Ich habe eher das Gefühl, wir sind wieder in einer Geschichte gestrandet, von der wir noch nicht alle Einzelheiten kennen. Aber er kann uns sagen, worum es geht, nicht wahr?«
Er wollte mit dem Speer nach dem Alten stoßen, aber dieser stand mit einer fließenden, geschmeidigen Bewegung auf, die man ihm gar nicht zugetraut hätte.
»Tinker!«, rief Gunhild, die inzwischen näher gekommen war. »Was hast du gemacht? Du hast deinen schönen Wagen zu Brennholz zerkleinert.«
Der Alte lächelte. »Wir brauchen ihn jetzt nicht mehr. Und wenn du dich um das Maultier sorgst: Es ist zu seinen Gefährten zurückgekehrt, der Herde Brâns.«
»Du kennst diesen Mann?«, fragte Hagen misstrauisch, ohne den Alten aus den Augen zu lassen.
»Ich habe dir doch von ihm erzählt. Er hat mich vor den Hunden Annwns gerettet und hierher gebracht. Die Leute nennen ihn Tinker Tally, den Kesselflicker, doch sein wirklicher Name ist Taliessin.«
»Ich glaube«, sagte Siggi drohend, »sein wirklicher Name lautet ganz anders. Du hast ihn nie gesehen, den dunklen Mann, aber Hagen und ich sind ihm schon früher begegnet, und wir haben noch eine Rechnung mit ihm offen. Ist es nicht so, Erzdruide?«
Der Alte hatte sich wieder gefasst. »Ich habe viele Namen, und an manche erinnere ich mich nicht
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