Die Kinder von Avalon (German Edition)
ebenso leise zurück. »Sie scheinen hier etwas gegen ihn zu haben.«
»Du meinst, Manawyddans Rache?«, flüsterte Siggi.
»Das – oder etwas ganz anderes.«
Da sie nicht mehr bei sich hatten als das, was sie auf dem Leib trugen, brauchte es keine großen Vorbereitungen. Sie hätten gern ihre Kleider getrocknet, aber dazu fehlte es an Zeit. So folgten sie, nachdem Siggi sein Schwert wieder weggesteckt hatte, einfach dem Anführer der Coranieid und dessen Leuten. Die anderen Meerelben bildeten die Nachhut. Ihre Bewegungen waren ebenso fließend und geschmeidig wie die ihres Anführers – und ebenso lautlos.
Im Schatten der Klippe öffnete sich vor ihnen der Eingang zu einer Höhle, die von grünlich glimmenden Steinen erhellt war.
»Schon wieder eine Höhle«, grummelte Siggi. »Die ganze Anderswelt scheint nur aus Höhlen zu bestehen. Ich hasse Höhlen. Vor allem in diesen nassen Klamotten.«
Durch seinen Zwischenfall mit den Meerhunden hatte es ihn am schlimmsten erwischt. Seine Kleider waren völlig durchnässt; der rote Umhang, den er behelfsmäßig ausgewrungen hatte, hing herab wie ein nasser Sack. Dort, wo die Kleidung schon zu trocknen begonnen hatte, starrte sie von Salz und juckte erbärmlich, sodass er sich alle paar Schritte irgendwo kratzen musste.
Auch Hagen kam sich irgendwie unbeholfen vor in Gegenwart der Coranieid, die ihn von allen Seiten umflossen. Ihm war, als sei er aus einem gröberen Stoff gemacht als diese feingliedrigen Wesen. Jetzt, aus der Nähe, sah er, dass ihre Panzerhemden keinesfalls aus Kettengeflecht bestanden, wie er anfänglich angenommen hatte, sondern aus vielen winzigen Schuppen, von denen jede einzelne wie Schildpatt glänzte. Die Spangen, Buckel und Platten, welche die Rüstung zusammenhielten, waren aus getriebenem Silber von einer solchen Reinheit, wie er es noch nie gesehen hatte.
Die Schuppenpanzer wirkten eher wie eine zeremonielle Bekleidung als wie eine Kriegsrüstung; sie schienen nie einen Kampf mitgemacht zu haben. Auf den fein ziselierten Silberstücken, gezeichnet mit dem immer wiederkehrenden Muster einer eingerollten Spirale, umlaufend zu dritt in einen Kreis gefasst, fand sich kein einziger Kratzer. Er fragte sich, ob die perlmuttfarbenen Schuppen, die so leicht und fließend wirkten, wohl dem Stoß eines Speeres widerstehen würden.
Plötzlich wurde er von dem völlig irrationalen Verlangen übermannt, dies auszuprobieren: seinen Speer zu nehmen und ihn in diese makellose, schimmernde Rüstung zu stechen. Er wollte Blut fließen sehen. Der Drang war so übermächtig, dass er sich mit Gewalt beherrschen musste.
Er wusste nicht, was in ihn gefahren war. Er sah sich um. Siggi schien viel zu sehr mit sich selbst und seinem kratzenden Kittel beschäftigt zu sein, um auf irgendetwas Besonderes zu achten. Und Gunhild bewegte sich unter diesen grazilen Gestalten mit der ihr eigenen Anmut, als gehöre sie dazu.
War er der Einzige, der so empfand? Und wenn ja, warum? Bislang hatte er nicht ein einziges Mal kämpfen, ja nicht einmal seine Waffe einsetzen müssen, es sei denn, um zu drohen. Selbst Siggi, der unter ihnen der Kämpfer war, hatte bislang niemals wirklich das Schwert gezückt. Alle Probleme hatten sie mit Verstand, Klugheit und Glück gemeistert. Wieso verspürte er jetzt diesen Blutdurst?
Sein Blick glitt über die Wände der Höhle und nach vorn, zu dem mächtigen glitzernden Tor, das ihren Weg versperrte.
Einen Augenblick lang war er verwirrt. Er hatte damit gerechnet, dass ihr Weg endlos durch die Unterwelt führen würde, doch sie waren bereits am Ziel. Ihm fiel ein, dass sie sich ja auf einer Insel befanden, einer Insel im Wattenmeer. Tief ins Innere hinein konnte der Weg also nicht reichen. Dann traf sein Blick auf das Zeichen am Tor, die dreifach kreisende Spirale, und plötzlich war ihm alles wieder gegenwärtig. Schon einmal war er diesem Zeichen begegnet, bei ihren früheren Abenteuern in der Anderswelt, in einer Stadt auf dem Grunde des Ozeans. In den Fenstern, den Türmen, den Häusern, überall hatte er dort das Zeichen des Triskels gesehen. Das Zeichen des Herrn der Insel.
Damals hatte ihr Kampf unentschieden geendet. Doch im Gesicht des Gottes hatte er die Züge seines Vaters wiedererkannt, und ihn schauderte noch jetzt, wenn er daran dachte.
»Hagen, was ist mir dir? Du zitterst ja?«
Gunhild war bei ihm. Er war kaum imstande zu sprechen, er wies nur mit der Hand auf das Tor.
»Das … das Zeichen.«
Sie blickte zu den
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