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Die Kinder von Avalon (German Edition)

Die Kinder von Avalon (German Edition)

Titel: Die Kinder von Avalon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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abschüssiger zu werden. Und das, obwohl sich keine Krümmung zeigte, abgesehen von jener Biegung, die dem Gang selbst innezuwohnen schien.
    Schneller und schneller wirbelte das Rad. Sie mussten laufen, um mit ihm Schritt zu halten. Auf der glatten Fläche gab es kein Halten mehr. Siggi war der Erste, der ins Rutschen kam. »Huiiiii!«, rief er, als er mit den Beinen voraus durch die lange Röhre flitzte, immer herum und herum. Oder war es die Welt, die sich drehte, während das Rad selbst stillstand? Die anderen wirbelten hinter ihm her, in einer immer enger werdenden Spirale: Hagen, den Speer hoch erhoben; Gunhild, ihren Kristall umklammernd; der Alte mit wehenden Gewändern. Und dann waren sie gefangen im Rad selbst, einmal oben, einmal unten, und dann, von der Fliehkraft fortgeschleudert, hinaus in die Leere und hinab, wo der harte Felsboden auf sie wartete.
    »Vorsicht!«, schrie Siggi.
    Hagen konnte gerade noch den Speer zur Seite reißen, in letzter Sekunde, ehe er seinen Freund aufgespießt hätte. Er rollte sich auf der Schulter ab und kam wieder auf die Füße. Siggi stand bereits aufrecht. Rücken an Rücken standen sie da, zwei Krieger, die sich gegenseitig Deckung geben gegen den anstürmenden Feind. Aber da war kein Feind.
    »Wo sind wir?« Diesmal war es Gunhild, die diese Frage stellte.
    Sie befanden sich in einer großen Halle. Auf den ersten Blick war nicht zu erkennen, ob sie natürlichen oder künstlichen Ursprungs war. Doch sicher hatten keine menschlichen Bauwerker diese gewaltigen Steine aufeinander getürmt. In mächtigen, sechseckigen Säulen ragten sie gestaffelt auf allen Seiten empor. Der flackernde Schein von brennendem Pech in flachen Becken spiegelte sich in dem schwarzen Basalt.
    Nur am Kopfende der Halle spendeten große Wachskerzen ein milderes Licht. Sie standen zur Rechten und Linken eines steinernen Throns, der sich vor der Säulenreihe erhob.
    Auf dem Thron saß ein Mann. Weiß war sein Haar und weiß sein wallender Bart, der ihm bis auf die Knie reichte. Sein Gesicht war wie verwitterter Stein, ausgeschliffen von den Stürmen der Zeit, und seine Hände waren wie knorrige Eichenwurzeln, hart und braun. Sein Gewand war mit goldenen und silbernen Borten gesäumt, die mit verschlungenen Ornamenten verziert und mit Edelsteinen besetzt waren. Auf seinem Haupt trug er eine Krone gleich der eines Königs. Seine Augen waren geschlossen, als schliefe er.
    Siggi machte unwillkürlich einen Schritt auf den Thron zu, dann hielt er inne.
    »Spürt ihr es auch?«, flüsterte er.
    Gunhild und Hagen sahen sich an. Erst hatte Gunhild das Zittern in ihren Knien für eine Folge des Sturzes gehalten und bedingt durch die Tatsache, dass sie jetzt wieder auf festem Boden stand. Aber es ging nicht weg. Es blieb. Der Boden zitterte wirklich. Eine feine Vibration, die den festen Stein in Schwingung versetzte, die nicht aufhörte und weder schwächer noch stärker wurde.
    Und dann hörte sie es auch. Es war ein Ton, der fast unter der Hörschwelle lag: ein Donnern, von fern draußen. Doch dies waren nicht die anbrandenden Wasser des Meeres, die in rhythmischen Wellen gegen einen Strand liefen. Dies war wie das Donnern eines Wasserfalls, von unvorstellbaren Massen, die in eine ebenso unvorstellbare Tiefe stürzten …
    Die Gestalt auf dem Thron öffnete den Mund.
    »Kommt … näher …!«
    Die Stimme war tief und voll, mit einer hallenden Resonanz, fast wie die Stimme des Drachen, und es lag in ihr etwas Zwingendes, dem keiner, der sie hörte, widerstehen konnte. Gunhild hatte einen Schritt nach vorn gemacht, ehe es ihr auch nur bewusst geworden war. Sie blickte Hilfe suchend zu Merlin auf, doch dieser schob sie sanft in Richtung des Thrones.
    »Geh zu ihm«, sagte er. »Er wird euch nichts tun – und insbesondere dir nicht.«
    Vorsichtig näherten sie sich der lagernden Gestalt. Je näher sie kamen, umso höher ragte der Thron vor ihnen auf. Und mit jedem Schritt, den sie taten, schien er, der da saß, größer und gewaltiger zu werden. Er war kein Mensch, so viel war klar. Während Dylan, der Meergott in seiner kristallenen Grotte, ihnen vorgekommen war wie ein gefährliches Ungeheuer aus der Tiefe, so war dieser schlafende Riese ein lebendig gewordener Berg: eine Urgewalt, so alt und so mächtig, dass jedes menschliche Maß in seiner Gegenwart zu klein war.
    Der Gott auf dem Thron öffnete die Augen. Sie waren dunkel, von der Farbe des Meeres unter einem bedeckten Himmel, und von einer alles

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