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Die Kinder von Avalon (German Edition)

Die Kinder von Avalon (German Edition)

Titel: Die Kinder von Avalon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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Finger zeigte genau auf das Zentrum des Kreises. Von ihrer Fingerspitze weg spann sich ein Wirbel nach außen, eine silberne Spirale, die den ganzen Kreis erfüllte, ihn größer und größer werden ließ. Jetzt war er schon so groß, dass ein kleines Tier hindurchgepasst hätte, eine Katze oder ein Hund. Und immer noch wurde er größer. Jetzt war er so groß wie ein Karrenrad. Sein silberner Rand schien Funken zu versprühen; alles verschwamm um ihn her. Längst verdeckte er die Gestalt der Spinnerin, die auf ihrem Schemel saß. Weiter und weiter wuchs er, bis er den ganzen Raum erfüllte, silbern am Rand, dunkler in der Mitte, ein Tunnel, der in unendliche Weiten zu führen schien.
    Gunhild ließ die Hand sinken. Der silberne Kreis stand im Raum; das Rad drehte sich um seinen Rand, doch im Inneren war er fest und stabil. Ein Geruch wie nach feuchter Wolle hing im Raum, der von den knisternden Funken ausging, die den Rand umspielten.
    »Und jetzt?«, fragte Hagen.
    »Gehen wir hindurch«, sagte Siggi.



10.
Das Licht am Ende der Welt
    Gunhild wusste selbst nicht so recht, wie ihr geschah. Auf der einen Seite war sie hellwach, so wach wie nie zuvor in ihrem Leben, auf der anderen schien sie zu träumen, als geschähe dies alles nicht wirklich. Sie sah, wie sie ihren Fuß in den silbernen Kreis setzte, spürte den Widerstand, der sich ihr bot und der plötzlich nachgab. Ein weiterer Schritt, und sie befand sich im Innern.
    Es war, als ginge sie einen stählernen Gang entlang; ihr Bruder hätte gesagt: wie in einem Science-Fiction-Film. Aber dies war kein Film, und der Boden war auch nicht stählern. Es ließ sich schwer sagen, wie fest er war. Er schien bei jedem Schritt leicht nachzugeben, doch er federte nicht zurück, so als seien die Gesetze der Physik hier aufgehoben. Ja, sie hatte das Gefühl, dass sie sich mit jedem Schritt viel weiter voranbewegte, als die reine Distanz betrug, die sie zurücklegte. Es war, als bewege sich der Gang mit ihr, so wie ein Wurm, der durch Ausdehnen und Zusammenziehen seine Lage verändert. Und dennoch blieb die Wand selbst unverändert und gerade, abgesehen von einer unmerklichen Krümmung, die in die Unendlichkeit führte. Gunhild verspürte auch kein Schwindelgefühl, soweit einen nicht das unwirkliche Flirren der Umgebung schon schwindeln ließ.
    »Wie in einem Science-Fiction-Film«, sagte Siggi. Er war plötzlich neben ihr; sie hatte ihn nicht kommen hören. Er grinste, doch in dem silbernen Licht war sein Gesicht blass, sodass sein Lächeln nicht zur Geltung kam. »Nur dass ich es mir nicht so vorgestellt habe.«
    Dass er die Worte wiederholte, die sie vorhin gedacht hatte, irritierte Gunhild. Es war fast so, als sei hier nicht nur die Ordnung des Raumes, sondern auch das Gesetz der Zeit aufgehoben.
    »Wo sind wir hier?«, fragte Hagen, doch Merlin, der unmittelbar hinter ihm kam, stieß ihn mit sanfter Gewalt voran.
    »Nur nicht stehen bleiben!«, meinte er. »Weitergehen, weitergehen …«
    »Wo sind wir?«, wiederholte Hagen, während er weiterging.
    Gunhild war die ganze Zeit in Bewegung geblieben. Es war weniger eine bewusste Entscheidung gewesen, die sie dazu veranlasst hatte, als eine instinktive Angst, dass sie durch die silbrige Substanz, auf der sie ging, hindurchsinken würde, sobald sie nur einen Augenblick zur Ruhe kam. Das Rad, dachte sie, dreht sich ewig und endlos.
    »Im Inneren des Rades«, sagte Merlin auf Hagens Frage. »Das Rad dreht sich ewig und endlos. Heute ist man oben, morgen unten. Das Rad ist immer in Bewegung. Bewegung ist Leben, Stillstand ist der Tod.«
    »Ich wusste, dass er das sagen würde«, raunte Hagen Gunhild zu, aber so leise, dass der Alte es nicht hören konnte.
    Lauter fragte er: »Und wohin führt dieser Weg? Ist der auch endlos?«
    »So endlos wie der Wurm, der die ganze Welt umschlingt«, führte Merlin aus. »In gewisser Weise könnte man sogar sagen, wir sind im Innern dieses Wurms gefangen …«
    »Iiih!«, machte Siggi. »Im Inneren eines Wurms!«
    »Er hat gesagt: in gewisser Weise«, erklärte Gunhild, um ihren Bruder zu beruhigen.
    »Außerdem sehe ich da hinten schon das Ende des Wurms«, meinte Hagen.
    »Und wo?«, fragte Siggi, und: »Wo?«, echote auch Gunhild. Dann sah sie es selbst. Ein dunklerer Punkt, dem der sich windende Schlauch entgegenlief. Mit jedem Schritt kam er näher, weit schneller, als ihre Beine sie vorwärts trugen.
    In demselben Maße, in dem der Ausgang des Tunnels näher kam, schien der Gang selbst

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