Die Kinder von Avalon (German Edition)
verschlingenden Tiefe. Diese Augen kannten alles, wussten alles, hatten alles gesehen. Wer in diese Augen hineinblickte, war für das Leben verloren.
»Heil dir, Mâth mab Mathonwy«, sprach Merlin. »König von Prydain, Herrscher über die Insel der Mächtigen, Meister der Magie.«
Der Blick aus den meerdunklen Augen glitt über die drei hinweg, die vor dem Thron standen. Gunhild erschauerte, als er sie traf, wie der Strahl eines Leuchtturms, der vorüberstrich, um einen für einen Augenblick aus der Dunkelheit in blendende Helle zu reißen und wieder in die Dunkelheit zu entlassen. Sie sah, dass auch Siggi sich duckte, aber dass seine Hand gleichzeitig zum Schwert ging. Hagen hielt den Kopf hoch erhoben, wandte dann aber die Augen ab.
Nur einer hielt dem forschenden Blick stand. Wie ein Baum, der sich dem Wind entgegenstemmt, so stand er da, Auge in Auge, und wich keinen Fingerbreit, als Mâth sagte: »Du hast deine goldene Zunge noch nicht verloren, Gwydion mab Dôn. Und du bist immer noch imstande, Menschen deinen Zwecken dienstbar zu machen, wie in den alten Zeiten. Aber sag mir, Schwestersohn, warum nennst du mich König von Prydain? Wo ist Llew, den ich an meiner statt einsetzte, über die Insel der Mächtigen zu herrschen?«
Da endlich senkte Merlin den Blick.
»Ich weiß es nicht«, gab er zu. »Weder im Sommerland noch auf den Inseln des Westens noch in dem, was von Prydain geblieben ist, habe ich eine Spur von ihm gefunden. Ich hatte gehofft, du könntest es mir sagen. Denn ich habe lange geschlafen, länger als das Gedächtnis zurückreicht, und ich habe vergessen, was damals geschah.« Es sah wieder auf, in seinen Augen brannte eine verzweifelte Hoffnung. »Wie ging jene Geschichte zu Ende? Welcher Weg ist es, der nach Caer Siddi führt? Und fanden wir am Ende des Weges … den Gral?«
Und Mâth lachte.
Es war ein Lachen, das tief aus dem Inneren kam. Es erfüllte den Raum und brachte die schwarzen Basaltsäulen zum Schwingen. Es löschte alle anderen Geräusche aus, selbst das dumpfe Dröhnen, das den Fels zum Schwingen brachte. Es gab nichts mehr außer diesem Lachen, kein Tun, kein Fühlen, kein Denken. Nichts außer dem leisen Schaben einer Schwertklinge, die aus ihrer Scheide gezogen wurde.
»Jetzt ist es genug.« Siggis Stimme war kalt und klar. »Wir sind hierher gekommen – und es war, verdammt noch mal, nicht leicht –, um eine Antwort zu finden. Wenn du sie weißt, dann bist du es uns schuldig –«
»Schuldig?«, unterbrach ihn Mâth mit seiner dröhnenden Stimme. »Wenn du einen Schuldigen suchst, dann blick dich doch um. Siehst du ihn nicht? Wer lieferte denn seine Gefährten an Arawn aus, wenn nicht Aneirin? Wer ging unter dem Deckmantel des Barden zu Pryderi und trieb ihn in den Krieg, wenn nicht Taliessin? Wer schlief mit Arianrhod, wenn nicht Gwydion? Wer verriet Morgause, wenn nicht Merlin?«
»Bei allem Respekt«, meldete sich jetzt Hagen zu Wort, höflich aber bestimmt, »wenn das alles so war, dann habt Ihr davon gewusst. Und wer etwas weiß und nicht eingreift, macht sich ebenfalls schuldig.«
Mâth mab Mathonwy wandte seinen Blick ihm zu. Doch diesmal wich Hagen nicht aus.
»Ein kluger Einwand«, sagte Mâth. »Aber ich habe nicht immer wieder Menschen für meine Zwecke eingespannt, sie zu Taten angetrieben, die über das hinausgehen, wozu Menschen fähig sind. Er hingegen wohl. Er ist gut darin, andere zu benutzen. Vielleicht benutzt er auch euch nur. So wie er Arthur veranlasste, auf die wahnwitzige Suche nach dem Gral zu gehen und damit alles zu zerstören, was er aufgebaut hatte.«
»Ich habe von ihm nichts als Gutes erfahren«, sagte Gunhild. »Was immer er war, es spielt keine Rolle mehr.«
Der Gott wandte sich ihr zu. »Für dich vielleicht nicht, mein Kind, aber für die Schuld, die er trägt, muss bezahlt werden. Wenn du die Wahrheit wissen willst, so weißt du auch, dass ich meine Kräfte nur besitze, wenn meine Füße im Schoß einer Jungfrau ruhen. Willst du mir dafür dienen?«
Gunhild schluckte. »Ich weiß nicht«, begann sie, »ob ich wirklich …«
Hagen fasste sie am Arm. »Du weißt, was mit Arianrhod geschah«, sagte er, an Mâth gewandt. »Soll sie dir auch ein Monster gebären – oder einen Helden? Was ist, wenn sie keine Jungfrau mehr ist?«
»Was weißt du davon?« Der Gott lauerte.
»Genug«, sagte Hagen. Er hob den Speer. »Krümm ihr nur ein Haar, und wir werden sehen, ob du genug Macht hast, um diesem Speer auszuweichen.«
»Und
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