Die Kinder von Avalon (German Edition)
Siegfrieds Frau Kriemhild so bedrängte, und dass dies Siegfrieds Tod herbeigeführt hatte.
Arianrhod sah ihn nur nachdenklich an und fuhr fort: »Also ließ Llew ein Bad am Ufer des Flusses richten und den Bottich mit einem Dach bedecken und gut und fest mit Schilf versehen. Er ließ einen Bock herbeiführen und ihn neben den Rand des Bottichs stellen. Dann stellte er einen Fuß auf den Rand des Bottichs und den anderen auf den Rücken des Bocks.«
»Was für eine unmögliche Stellung!«, rief Siggi aus.
»So kann er es doch nur Sekunden lang ausgehalten haben«, fügte Hagen hinzu.
»Aber es genügte. Der Speer, der aus dem Dunkel kam, traf ihn in die Seite, sodass die Spitze stecken blieb, der Schaft aber abbrach. Dann flog Llew auf in Gestalt eines Adlers und ward nicht mehr gesehen.«
»Und das war sein Ende?«, meinte Gunhild traurig.
Alle sahen sie an, weil sie bislang nur vor sich hin gestarrt hatte. Doch jetzt lief eine Träne über ihre Wange, und sie war aus ihrem Bann erwacht.
»Nein, dies war nicht das Ende«, sagte der Alte, und seine Stimme war wieder schwer und volltönend: die Stimme Taliessins, des Barden. »Denn Gwydion hörte davon am Hofe Mâths, und er schwor sich, nicht eher zu ruhen, bis er Llew gefunden habe, tot oder lebendig. Neun Tage und neun Nächte suchte er nach ihm. Am zehnten Tag kam er an eine hohe Eiche, an der äußersten Grenze Prydains, und sah darauf einen Adler, der schwer verwundet war. Da sang Gwydion folgendes Lied:
Eiche, die unter dem Steilhang steht;
verdunkelt sind Himmel und Erde!
Sollt’ ich nicht an seinen
Wunden erkennen, wer dort hängt?«
Da kam der Adler in die Mitte des Baumes herab. Gwydion sang:
Eiche, die in der Hochland-Erde wächst,
ist sie nicht vom Regen genässt?
Wurde sie nicht gebadet
in neunmal neun Stürmen?
In ihren Ästen trägt sie Llew Llaw Gyffes.
Da kam der Adler herab bis auf den untersten Ast des Baumes. Gwydion sang:
Eiche, die zwischen zwei Ufern steht;
stattlich und majestätisch anzusehen!
Sollte ich es nicht aussprechen,
dass Llew auf meinen Schoß kommen wird?
Und der Adler kam auf Gwydions Knie. Und Gwydion rührte ihn mit seinem Zauberstab an, sodass er wieder menschliche Gestalt annahm. Und nie gab es einen erbärmlicheren Anblick als ihn, denn er war nichts als Haut und Knochen. Aber er lebte …«
»Er lebte?« Siggi war außer sich. »Aber wie kann das gehen? Ich meine, wenn er … wenn er nur auf so komplizierte Weise umgebracht werden konnte, wieso hat es dann nicht funktioniert? Das ergibt doch keinen Sinn.«
»Aber er war tot«, sagte der Alte sanft. »Und als ich ihm herabhalf vom Baum, da wurde er wieder lebendig. Das ist das Wunder, das auch ich nicht begreife.«
»Neun Tage und neun Nächte hing er im Baum, dem Tode näher als dem Leben …« Gunhilds Stimme klang seltsam und traumverloren.
Merlin runzelte die Stirn. »Was sagst du da?«
Sie blickte auf. »Ich rede nicht von deinem Sohn. Ich rede von dem Grauen Gott meiner Heimat, Odin Allvater, der auch gestorben ist. Doch ich bin nicht sicher, ob er nicht weiterlebt – ein wenig jedenfalls – in dir.«
Merlin vergrub das Gesicht in den Händen. »Ich begreife es nicht«, sagte er. »Da ist irgendetwas, das mir entgeht, eine Einzelheit, die aber der Schlüssel zu der ganzen Geschichte ist. Ich erinnere mich nicht mehr. Ich weiß nur noch, wie ich dasaß und der Adler auf meinem Knie sich in Llew verwandelte. Und dann ist nichts mehr. Nur noch Dunkelheit. Vergessen.«
Er wandte sich an Arianrhod. »Ich hatte gehofft, dass du mir sagen könntest, wie die Geschichte weiterging, Schwester.«
Sie breitete die Hände aus, dass das Spinnrad, das sie die ganze Zeit mit ihren Fingern angetrieben hatte, ins Leere lief. »Ich weiß es nicht«, meinte sie. »Denn dies war das Ende des Hofes von Gwynedd; Mâth legte sein Königtum nieder und ging an einen fernen Ort, den nur er kennt. Für mich begann damals mein selbst gewähltes Exil auf dieser Insel, und Dylan hat mich seitdem gegen alle Gefahren von außen bewacht, während ich hier den Faden des Schicksals spann. Ich weiß nur, dass du zu Govannon gingst, unserem Bruder, um dort Heilung zu finden für Llew.«
Merlin schüttelt den Kopf. »Aber wieso zu ihm? Gewiss, auch Govannon verstand etwas von Kräutern und Heilkunde, aber vor allem war er ein Schmied …«
Ein Bild stieg vor Hagens Augen auf: eine große rußige Gestalt mit Haaren, schwarz wie die Nacht, und einem langen, verwilderten Bart, die
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