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Die Kinder Von Eden : Roman

Die Kinder Von Eden : Roman

Titel: Die Kinder Von Eden : Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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eine etwa drei Meter breite, schnurgerade Schneise durchs Gebüsch gefräst. Senderos nannten die spanischstämmigen Fahrer diese Pfade, an deren Rändern – in Abständen von jeweils exakt fünfzig Yards – bonbonrosafarbene Markierungsfähnchen an kurzen Drahtständern flatterten. Ein Lastwagen rollte im Schrittempo über den sendero.
    Diesen Lastwagen mußte Priest stehlen.
    Sein erstes Auto hatte er im Alter von elf Jahren geklaut, einen brandneuen, schneeweißen 1961er Lincoln Continental. Der Wagen stand vor dem Roxy Theater am South Broadway in Los Angeles, und die Schlüssel lagen im Handschuhfach. Priest, der damals noch Ricky hieß, konnte kaum übers Lenkrad gucken und hätte sich vor Angst fast in die Hosen gemacht – aber er hatte es geschafft, den Wagen zu Jimmy »Pigface« Riley zu kutschieren, der zehn Querstraßen weiter auf ihn wartete, und ihm stolz die Schlüssel präsentiert. Jimmy hatte ihm fünf Dollar gegeben, war sofort mit seiner Freundin zu einer Spritztour aufgebrochen – und fuhr den Wagen auf dem Pacific Coast Highway zu Schrott. Ricky aber wurde nach seiner Tat in die Pigface Gang aufgenommen.
    Bei dem Laster auf dem sendero ging es jedoch nicht um einen beliebigen fahrbaren Untersatz.
    Priest sah, wie das schwere Aggregat auf der Ladefläche hinter der Fahrerkabine langsam eine etwa vier Quadratmeter große, massive Stahlplatte auf den Boden herabsenkte. Nach einer kurzen Pause vernahm er ein tiefes Dröhnen. Die Platte begann, rhythmisch auf die Erde zu hämmern, und um den Laster herum wirbelten Staubwolken auf. Priest spürte, wie der Boden unter seinen Füßen zitterte.
    Das Gerät war ein seismischer Vibrator, der dazu diente, Schockwellen durch die Erdkruste zu jagen. Priest, der – außer als Autodieb – nie eine richtige Ausbildung genossen hatte, war trotz dieses Mankos ein kluger Kopf, der es bisher noch mit jedem aufgenommen hatte. Er hatte sofort begriffen, wie der Vibrator funktionierte. Das Prinzip entsprach der Radartechnik. Die Schockwellen wurden an markanten Gesteinsgrenzen im Erdinnern reflektiert und wieder an die Oberfläche zurückgeworfen, wo man sie mit Sensoren – sogenannten Geophonen – aufzeichnete.
    Priest gehörte zur Geophon-Crew. Die Männer hatten auf einer Fläche von einer Quadratmeile schon über tausend Geophone in genau berechneten Abständen installiert. Jedesmal wenn der Vibrator die Erde erschütterte, wurden die reflektierten Schwingungen von den Sensoren aufgefangen und von einem Meßtechniker aufgezeichnet. Der Mann arbeitete in einem Anhänger, den alle nur »die Hundehütte« nannten. Sämtliche Daten würden später an einen Großrechner in Houston überspielt und dort zu einem dreidimensionalen Datenkomplex zusammengefügt, der die Gesteinsstruktur unter der Erdoberfläche darstellte. So aufbereitet, würde das Datenmaterial schließlich an eine Ölgesellschaft verkauft werden.
    Der Ton der Schwingungen nahm zu an Höhe und Stärke und erinnerte nun an die mächtigen Maschinen eines Ozeandampfers, der langsam Fahrt aufnimmt. Dann brach das Geräusch abrupt ab. Die Augen zusammengekniffen vor dem wabernden Staub, rannte Priest über den sendero auf den Laster zu, öffnete die Tür und kletterte in die Kabine. Hinter dem Steuer saß ein etwa dreißigjähriger, untersetzter Mann mit schwarzen Haaren. »Hallo, Mario«, sagte Priest und rutschte auf den Beifahrersitz.
    »Hallo, Ricky.«
    Richard Granger lautete der Name auf Priests Führerschein der Klasse B. Der Schein war gefälscht, der Name jedoch echt.
    Priest hielt eine Stange Marlboro in der Hand, Marios Marke, und warf sie aufs Armaturenbrett. »Hier, ich hab‘ dir was mitgebracht.«
    »Hey, Mann, du brauchst mir doch keine Zigaretten zu kaufen!«
    »Ich schnorr‘ doch dauernd welche bei dir.« Er griff nach dem offenen Päckchen, das ebenfalls auf dem Armaturenbrett lag, schüttelte eine Zigarette heraus und steckte sie sich in den Mund.
    Mario lächelte. »Und warum kaufst du dir nicht deine eigenen?«
    »Wer? Ich? Mensch, ich kann mir das Rauchen doch gar nicht leisten!«
    »Du bist vielleicht ein Spinner, Mann.« Mario lachte.
    Priest zündete sich seine Zigarette an. Kontakte zu knüpfen und sich bei anderen beliebt zu machen, war ihm immer leichtgefallen. Auf den Straßen, in denen er aufgewachsen war, schlugen einen die Kerle zusammen, wenn sie einen nicht mochten, und er war als Junge ziemlich klein gewesen. Kein Wunder, daß er schon recht früh ein intuitives

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