Die Kinder Von Eden : Roman
›Wir erkennen die Staatsgewalt der US-Regierung nicht an.‹ Arschlöcher.«
»Ja, ich weiß«, sagte Priest. Rechtsradikale Vigilanten hatten dort unten an einem abgelegenen Fleck ein großes, altes Farmhaus übernommen, bewachten es seither mit Schnellfeuergewehren und träumten davon, eine chinesische Invasionsarmee zurückzuschlagen. Unglücklicherweise waren sie die nächsten Nachbarn der Kommune.
»Warum wurde Flower festgenommen? Hat sie was Unrechtes getan?«
»Das ist gewöhnlich der Grund für eine Festnahme«, erwiderte der Polizist sarkastisch.
»Und was?«
»Man hat sie bei einem Ladendiebstahl erwischt.«
»Bei einem Ladendiebstahl« Aus welchem Grund sollte ein Kind, das jederzeit Zugang zu einem freien Laden hat, einen Ladendiebstahl begehen? »Was hat sie denn gestohlen?«
»Ein Poster von Leonardo DiCaprio.«
Am liebsten hätte Priest dem Bullen ins Gesicht geschlagen, aber damit war Flower gewiß nicht geholfen. Statt dessen dankte er dem Mann für seinen Besuch und versprach, er werde in einer Stunde mit Flowers Mutter nach Silver City kommen und ihre Tochter im Büro des Sheriffs abholen. Der Polizist gab sich damit zufrieden und fuhr davon.
Priest machte sich umgehend auf den Weg zu Stars Blockhütte, die gleichzeitig als Krankenstation der Kommune diente. Star besaß zwar keine medizinische Ausbildung, hatte jedoch bei ihren Eltern, einem Arzt und einer Krankenschwester, eine Menge Fachwissen aufgeschnappt. Mit medizinischen Notfällen war sie von Kindesbeinen an vertraut, und mehrfach hatte sie sogar bei Entbindungen geholfen. In ihrer Hütte standen zahlreiche Kartons mit Verbandmaterial und Salbentöpfen; es gab einen Vorrat an Aspirintabletten, Hustensaft und verschiedenen Verhütungsmitteln.
Als Priest sie mit der unerfreulichen Nachricht weckte, bekam sie einen hysterischen Anfall. Star war die Polizei fast ebenso verhaßt wie ihm selbst. In den sechziger Jahren war sie auf Demonstrationen mit Schlagstöcken geprügelt worden, verdeckte Ermittler der Drogenpolizei hatten ihr unreinen Stoff verkauft, und einmal war sie sogar auf einer Polizeiwache von mehreren Bullen vergewaltigt worden. Jetzt sprang sie schreiend aus dem Bett und schlug auf Priest ein. Er packte sie an den Handgelenken und tat sein Bestes, sie zu beruhigen.
»Wir müssen sofort hin und sie da rausholen!« kreischte Star.
»Ja, müssen wir«, sagte Priest. »Aber erst mal ziehst du dich an, okay?«
Sie wehrte sich nicht mehr. »Okay.«
Während Star sich ihre Jeans überstreifte, sagte er: »Du hattest schon mit dreizehn ‚ne Menge Holz vor der Hütte, hast du mir mal erzählt.«
»Ja, und da kam so ein schmieriger alter Wachtmeister mit ‚ner Zigarette im Mundwinkel auf mich zu, legte mir die Pfoten auf die Titten und sagte, ich würde mal eine sehr schöne Frau werden.«
»Wenn du nachher wieder durchdrehst und selbst festgenommen wirst, hilft das Flower gar nichts«, warnte Priest.
Star hatte sich wieder im Griff. »Da hast du recht. Also werden wir uns um ihretwillen bei diesen Arschgeigen liebkind machen.« Sie kämmte sich und blickte in einen kleinen Spiegel. »Okay dann. Ich bin soweit, daß ich mir jeden Scheiß anhöre.«
Konventionelle Kleidung hatte sich nach Priests Erfahrungen im Umgang mit der Polizei bisher noch immer ausgezahlt. Er weckte Dale auf und holte sich den alten dunkelblauen Anzug, der inzwischen längst Eigentum der Kommune war. Dale war derjenige, der ihn zuletzt getragen hatte: Seiner Frau, die er vor zwanzig Jahren verlassen hatte, war plötzlich eingefallen, daß sie sich scheiden lassen wollte; daher hatte Dale vor Gericht erscheinen müssen. Priest zog den Anzug über sein Arbeitshemd und band sich die fünfundzwanzig Jahre alte, auffallend breite, in Rosa und Grün gestreifte Krawatte um. Da die dazugehörigen Schuhe längst ausgetreten waren, schlüpfte er wieder in seine Sandalen. Dann machten die beiden sich auf den Weg zum Barracuda.
Sie bogen bereits in die Bezirksstraße ein, da sagte Priest: »Keiner von uns hat gestern abend gemerkt, daß Flower gar nicht daheim ist. Wie war das möglich?«
»Als ich ihr gute Nacht sagen wollte, hat Pearl mir erzählt, siel wäre auf dem Klo.«
»Ja, diese Geschichte hat sie mir auch aufgetischt! Sie muß Bescheid gewußt und Flower gedeckt haben!« Pearl, die Tochter von Dale und Poem, war zwölf Jahre alt und Flowers beste Freundin.
»Ich bin später noch einmal zum Schlafhaus gegangen. Die Kerzen waren schon aus, und
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