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Die Kinder Von Eden : Roman

Die Kinder Von Eden : Roman

Titel: Die Kinder Von Eden : Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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ihrem französischen Akzent besaß zweifellos eine wilde Ader – die Priest bestens kannte, denn er hatte viele Male mit ihr geschlafen. Seit sie jedoch mit Dale zusammenlebte, wirkte sie wie gebändigt. Dale gehörte zu den wenigen in der Kommune, von denen anzunehmen war, daß sie sich, falls sie wirklich die Siedlung verlassen mußten, auch im normalen Leben wieder zurechtfanden. Bei den meisten anderen war Priest skeptisch – sie würden wahrscheinlich im Knast oder im Irrenhaus landen oder eines frühen Todes sterben.
    »Wir müssen euch was zeigen«, sagte Dale. »Ihr solltet Bescheid wissen.«
    Priest fiel auf, daß die beiden Mädchen kurze Blicke wechselten. Flower funkelte Pearl wütend an; Pearl dagegen wirkte ängstlich und schuldbewußt.
    »Was ist denn nun schon wieder los?« fragte Star, Dale führte sie zu der einzigen Hütte, die gegenwärtig leerstand und von den älteren Kindern als Studierstube genutzt wurde. Das Mobiliar bestand aus einem einfachen Tisch, ein paar Stühlen und einem Schrank, in dem Bücher und Schreibzeug aufbewahrt wurden. Eine aufklappbare Falltür in der Decke führte auf den Dachboden, der indes so niedrig war, daß man dort nur kriechend vorankam.
    In der offenstehenden Falltür lehnte eine Leiter.
    Priest schwante Fürchterliches.
    Dale zündete eine Kerze an und stieg die Leiter hoch, gefolgt von Priest und Star. Oben fanden sie das geheime Versteck der Mädchen: eine Schachtel, die bis zum Rand gefüllt war mit billigem Schmuck, Make-up, modischen Kleidern und Teenager-Zeitschriften.
    »All das Zeug, von dem wir ihnen von Anfang an beigebracht haben, daß es nichts taugt«, sagte Priest leise.
    »Sie sind per Anhalter nach Silver City gefahren, dreimal in den vergangenen vier Wochen«, erklärte Dale. »Dort packen sie die Jeans und die Arbeitshemden ein und ziehen sich diese Klamotten an.«
    »Und was treiben sie sonst noch in Silver City?« fragte Star.
    »Lungern auf der Straße herum, quatschen mit Jungs und gehen in den Läden klauen.«
    Priest griff in die Schachtel und zog ein enggeschnittenes blaues T-Shirt mit einem orangefarbenen Streifen heraus. Es war aus Nylon und fühlte sich dünn und minderwertig an – genau die Art von Kleidung, die Priest verabscheute: Weder wärmte sie, noch bot sie sonst irgendwelchen Schutz. Statt dessen überzog sie die Schönheit des menschlichen Körpers mit einer Schicht Häßlichkeit.
    Mit dem T-Shirt in der Hand kletterte er die Leiter wieder hinunter. Star und Dale folgten ihm.
    Die beiden Mädchen sahen aus, als würden sie am liebsten vor Scham in den Erdboden versinken.
    »Gehen wir in den Tempel und reden in der Gruppe darüber«, sagte Priest.
    Dort hatten sich alle anderen, einschließlich der Kinder, bereits versammelt. Mit gekreuzten Beinen saßen sie auf dem Fußboden und warteten.
    Priest nahm, wie immer, in der Mitte des Kreises Platz. Diskussionen wurden nach demokratischen Prinzipien abgehalten, denn die Kommune hatte offiziell keine Anführer. Doch das galt nur in der Theorie. In der Praxis beherrschten Priest und Star die Versammlungen. Priest pflegte das Gespräch in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken, indem er Fragen stellte und seine eigene Meinung gar nicht erst preisgab. Gefiel ihm eine Idee, so sorgte er dafür, daß ausführlich über die Vorteile diskutiert wurde; hielt er dagegen nichts von einem Vorschlag, so fragte er, ob sich derselbe auch tatsächlich realisieren ließ. Wenn er spürte, daß sich die allgemeine Stimmung gegen ihn kehrte, tat er so, als habe er sich überzeugen lassen, und hintertrieb die Entscheidung später.
    »Wer möchte anfangen?« fragte er.
    Aneth ergriff als erste das Wort. Sie war ein mütterlicher Typ in den Vierzigern und sagte, ihrer Ansicht nach müsse man Verständnis für die Mädchen haben und dürfe sie nicht verurteilen. »Vielleicht wäre es am besten, wenn Flower und Pearl uns zuerst einmal erklären würden, warum es sie so sehr nach Silver City gezogen hat.«
    »Um dort Leute zu treffen«, sagte Flower trotzig.
    Aneth lächelte. »Jungs, meinst du?«
    Flower zuckte mit den Schultern.
    »Also, ich meine, das ist durchaus verständlich …«, sagte Aneth und fügte hinzu: »Aber warum mußtet ihr klauen?«
    »Um gut auszusehen!«
    Star seufzte gereizt. »Was paßt euch denn an euern normalen Klamotten nicht?«
    »Komm, Mama, mach dich doch nicht lächerlich!« erwiderte Flower voller Verachtung.
    Star beugte sich vor und gab ihr eine Ohrfeige.
    Flower

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