Die Kinder Von Eden : Roman
es war stockfinster. Da wollte ich die Kinder nicht mehr aufwecken. Ich wäre doch nie im Leben darauf gekommen, daß … «
»Wie solltest du auch? Diese Göre hat doch seit ihrer Geburt jede Nacht in derselben Hütte geschlafen – wie soll man da ahnen, daß sie plötzlich ganz woanders ist?«
Sie erreichten Silver City. Das Büro des Sheriffs lag gleich neben dem Gerichtsgebäude. Sie betraten einen düsteren Vorraum, dessen Wände mit vergilbenden Zeitungsberichten über lang zurückliegende Morde geschmückt waren. Hinter einer Fensterscheibe mit Sprechanlage und Summer befand sich eine Art Schalter. Ein Hilfssheriff in khakifarbenem Hemd mit grünem Schlips fragte: »Kann ich Ihnen helfen?«
»Mein Name ist Stella Higgins«, sagte Star. »Sie haben meine Tochter hier.«
Der Hilfssheriff unterzog die beiden einer kritischen Musterung. Er schätzt uns ab und fragt sich, was für Eltern wir wohl sind, dachte Priest. »Augenblick, bitte«, sagte der Mann und verschwand.
Priest wandte sich an Star und raunte ihr zu: »Ich denke, wir sollten hier als ehrbare, gesetzestreue Bürger auftreten. Wir sind hellauf entsetzt, daß eines unserer Kinder Schwierigkeiten mit der Polizei hat. Wir hegen den denkbar größten Respekt vor allen Gesetzeshütern, und es tut uns schrecklich leid, daß wir diesen bienenfleißigen Menschen solche Umstände bereitet haben.«
»Kapiert«, sagte Star angespannt.
Eine Tür ging auf, und der Hilfssheriff ließ sie herein. »Mr. und Mrs. Higgins«, sagte er, und Priest korrigierte ihn nicht. »Bitte folgen Sie mir.« Er führte sie zu einem Konferenzsaal mit grauem Teppichboden und schmuckloser moderner Einrichtung.
Flower wartete bereits auf sie.
Eines Tages würde sie in die Fußstapfen ihrer Mutter treten und zu einer großartigen, kurvenreichen Frau heranwachsen. Jetzt, mit dreizehn, war sie noch ein schlaksiges, linkisches Mädchen und obendrein ebenso schlecht gelaunt wie verheult, allem Anschein nach aber wenigstens unverletzt, Star nahm sie wortlos in die Arme und drückte sie an sich, dann tat Priest das gleiche.
»Hast du die Nacht im Gefängnis verbracht, Liebling?« fragte Star.
Flower schüttelte den Kopf. »Nein, in irgend ‚nem Haus.«
»Das kalifornische Gesetz ist in diesem Punkt sehr streng«, erklärte der Hilfssheriff. »Jugendliche dürfen nicht unter dem gleichen Dach wie erwachsene Kriminelle inhaftiert werden. Es gibt daher bei uns in der Stadt ein paar Leute, die bereit sind, jugendliche Straftäter eine Nacht lang zu betreuen. Flower hat bei Miss Waterlow übernachtet. Sie ist Lehrerin und zufällig auch die Schwester unseres Sheriffs.«
»War das okay?« wollte Priest von Flower wissen.
Das Kind nickte trübsinnig.
Allmählich fühlte er sich wieder besser. Es gibt heutzutage, weiß Gott, Schlimmeres, was Kindern zustoßen kann.
»Bitte setzen Sie sich, Mr. und Mrs. Higgins«, sagte der Hilfssheriff. »Ich bin hier der Bewährungshelfer, zu dessen Aufgaben unter anderem der Umgang mit jugendlichen Straftätern gehört.«
Sie setzten sich.
»Gegen Flower liegt eine Anzeige wegen Diebstahls eines Posters im Werte von 9,99 Dollar vor. Geschädigter ist der Silver Disc Music Store.«
Star wandte sich an ihre Tochter. »Das verstehe ich einfach nicht«, sagte sie. »Was bringt dich dazu, ein Poster mit einem dämlichen Filmstar zu stehlen?«
Flower reagierte laut und heftig: »Ich wollte es eben haben!«kreischte sie. »Ich wollte es haben, das ist alles!« Sie brach in Tränen aus.
Priest wandte sich an den Hilfssheriff: »Wir würden unsere Tochter gern so bald wie möglich mit nach Hause nehmen. Was müssen wir tun?«
»Ich darf Sie darauf hinweisen, Mr. Higgins, daß die Höchststrafe für das Delikt, das Flower begangen hat, Gefängnis bis zu ihrem einundzwanzigsten Lebensjahr ist.«
»Jesus Christ!« rief Priest aus.
»Sofern es sich um ein Erstdelikt handelt, rechne ich allerdings nicht mit einer so harten Bestrafung. Sagen Sie – hatte Flower schon einmal vergleichbare Probleme?«
»Nein, noch nie.«
»Und Sie? Überrascht Sie, was Ihre Tochter getan hat?«
»Ja.«
»Wir sind entsetzt«, sagte Star.
Der Hilfssheriff stellte nun Fragen zum Familienleben. Er wollte herausfinden, ob Flower daheim gut aufgehoben war. Die meisten Fragen beantwortete Priest. Seiner Darstellung zufolge waren sie einfache Landarbeiter. Vom Leben in der Kommune und von ihren Überzeugungen erzählte er nichts. Auf die Frage, ob Flower eine Schule besuche,
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