Die Kinder Von Eden : Roman
anzusehen.
»Also was nun – zwei Personen oder eine Gruppe?« fragte Honeymoon gereizt.
Judy spürte, daß sie errötete. »Die Nachricht wurde von einem Mann entworfen und von einer Frau getippt; es handelt sich also mindestens um zwei Personen. Ob es mehr sind, können wir zur Zeit nicht sagen.«
»Okay. Bitte halten Sie sich exakt an die Fakten.«
Das läuft nicht gut.
»Zweitens: Die Leute sind keineswegs verrückt«, fuhr Judy fort.
»Also meinetwegen nicht im klinischen Sinn«, bemerkte Kincaid. »Aber normal sind die garantiert nicht.«
Er lachte, als hätte er etwas besonders Geistreiches von sich gegeben.
Judy verfluchte ihn insgeheim. Was Kincaid trieb, war systematische Sabotage. »Gewalttäter lassen sich in zwei Gruppen einteilen: in organisierte und unorganisierte. Die Unorganisierten handeln spontan, bedienen sich jeder Waffe, die ihnen gerade in die Hände fällt, und wählen ihre Opfer zufällig aus. Das sind die wahren Verrückten.«
Honeymoons Interesse war geweckt. »Und die andere Sorte?«
»Die Organisierten planen ihre Verbrechen, nehmen die Waffen zum Tatort mit und greifen sich Opfer, die sie vorher gezielt ausgewählt haben. Sie folgen einer gewissen Logik.«
»Die sind genauso verrückt, nur auf andere Art und Weise«, sagte Kincaid.
Judy versuchte, seinen Einwurf zu ignorieren. »Solche Leute können krank sein, aber sie sind nicht reif für die Klapsmühle. Wir können ihnen rationales Denken unterstellen und versuchen, ihre nächsten Schritte vorauszuberechnen.«
»Gut. Diese Kinder von Eden sind demnach organisiert.«
»Dem Wortlaut ihrer Drohung nach, ja.«
»Sie verlassen sich weitgehend auf diese Sprachanalyse«, merkte Honeymoon skeptisch an.
»Es ist eine sehr wichtige Methode.«
»Aber kein Ersatz für sorgfältige Ermittlungsarbeit«, warf Kincaid ein. »Das Problem in diesem Fall ist: Wir haben sonst nichts in der Hand.«
Damit implizierte er, daß sie auf die Sprachanalyse zurückgreifen mußten, weil Judy ihre Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Mit dem Mut der Verzweiflung sprach sie weiter: »Wir haben es mit Leuten zu tun, die es ernst meinen«, sagte sie. »Das heißt, wenn es ihnen nicht gelingt, ein Erdbeben auszulösen, werden sie vielleicht etwas anderes versuchen.«
»Zum Beispiel?«
»Herkömmlichen Terrorismus, zum Beispiel: Sie legen eine Bombe, nehmen Geiseln oder verüben ein Attentat auf eine hochrangige Persönlichkeit.«
»Vorausgesetzt natürlich, sie haben die Fähigkeiten dazu«, sagte Kincaid. »Bisher gibt es dafür keine Hinweise.«
]udy holte tief Luft. Was sie noch zu sagen hatte, ließ sich leider nicht umgehen. »Im übrigen ist die Möglichkeit, daß sie tatsächlich ein Erdbeben hervorrufen können, nicht ganz von der Hand zu weisen.« »Was?« sagte Honeymoon. Kincaid lachte verächtlich.
Judy ließ sich nicht beirren. »Es ist unwahrscheinlich, aber vorstellbar. Das jedenfalls hat mir Professor Quercus gesagt, der auf diesem Gebiet führende Experte in Kalifornien. Es wäre ein Verstoß gegen meine Pflichten, würde ich Ihnen dies vorenthalten.« Kincaid lehnte sich in seinem Sessel zurück und schlug die Beine übereinander. »
Judys Antwort entspricht der Theorie der Lehrbücher, AL«, sagte er im plump vertraulichen Ton einer Männerrunde. »Vielleicht sollte ich Ihnen sagen, wie sich der Sachverhalt aus der Perspektive eines gewissen Alters und einer gewissen Erfahrung heraus darstellt …«
Judy starrte ihn an. Das wirst du mir büßen, Kincaid, und wenn das meine letzte Amtshandlung ist! Seit wir hier sitzen, hast du nichts anderes im Hirn, als mich fertigzumachen. Was machst du Arschloch bloß, wenn es tatsächlich ein Erdbeben gibt‘? Was willst du dann den Angehörigen der Opfer sagen?
»Bitte«, sagte Honeymoon zu Kincaid.
»Es ist völlig ausgeschlossen, daß diese Kerle ein Erdbeben auslösen. Außerdem sind ihnen die Kraftwerke scheißegal. Nach meinem Gefühl haben wir es hier mit einem Spinner zu tun, der seiner Freundin imponieren will. Es ist ihm gelungen, den Gouverneur nervös zu machen, das FBI läuft herum wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen, und jeden Abend hört er seine Räuberpistole bei John Truth im Radio. Plötzlich ist er ein toller Hecht, und seine Süße himmelt ihn an.«Judy kam sich zutiefst gedemütigt vor. Kincaid hatte sie ihre Ermittlungsergebnisse vortragen lassen und anschließend jede ihre Aussagen mit Spott und Verachtung überzogen. Das hatte er eindeutig inszeniert, ebenso
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