Die Kinder Von Eden : Roman
elf Uhr dreißig.«
»Ist der Termin geändert worden?«
»Nein, Madam, er war von Anfang an auf elf Uhr dreißig festgesetzt.«
Judy schäumte vor Wut. Wenn sie zu spät kam, stand ihr Auftritt schon unter einem schlechten Stern, bevor sie auch nur den Mund aufmachte. Das konnte ja heiter werden!
Sie zügelte ihren Ärger. »Das muß irgendwer verbockt haben«, sagte sie und sah auf die Uhr. Wenn ich fahre wie der Teufel, schaffe ich es in neunzig Minuten.
»Aber das macht nichts«, log sie. »Ich bin ohnehin ein bißchen zu früh losgefahren. Ich werde pünktlich da sein.«
»Sehr gut.«
Sie drückte aufs Gaspedal und sah, wie der Zeiger des Tachometers die Hundert-Meilen-Marke überschritt. Glücklicherweise war die Straße weitgehend frei. Der morgendliche Berufsverkehr verlief größtenteils stadteinwärts, Richtung San Francisco.
Die Uhrzeit stammte von Brian Kincaid – demnach würde er auch zu spät kommen. Weil er in Sacramento noch einen zweiten Termin hatte – eine Besprechung im dortigen FBI-Büro -, fuhren sie getrennt. Judy wählte die Nummer der Dependance in San Francisco und sprach mit der Sekretärin des SAC.
»Linda, hier ist Judy. Würden Sie bitte Brian anrufen und ihm sagen, daß der Kabinettssekretär uns bereits um elf Uhr dreißig erwartet, nicht erst um zwölf?«
»Das weiß er doch, denke ich«, sagte Linda. »Nein, er hat mir gesagt, die Besprechung findet um zwölf statt. Versuchen Sie, ihn zu erreichen, und sagen Sie ihm Bescheid.« »Mach‘ ich.«
»Danke.« Judy legte auf und konzentrierte sich aufs Fahren. Ein paar Minuten später hörte sie hinter sich eine Polizeisirene.
Sie warf einen Blick in den Rückspiegel und erkannte einen Streifenwagen der kalifornischen Highway Patrol. Die braune Lackierung war unverkennbar.
»Das ist doch nicht zu fassen!« stöhnte sie, bremste scharf und fuhr rechts ran. Der Streifenwagen hielt hinter ihr. Judy öffnete die Tür.
Eine lautsprecherverstärkte Stimme sagte: »BLEIBEN SIE IM WAGEN.«
Sie zog ihre FBI-Erkennungsmarke heraus, streckte sie dem Polizisten entgegen und stieg aus.
»BLEIBEN SIE IM WAGEN!«
Judy spürte, daß Angst in der Stimme lag, und sah, daß der Polizist allein war. Sie seufzte. Das hat mir
gerade noch gefehlt. Der Grünschnabel hat die Hosen gestrichen voll. Der ist imstande und knallt mich aus lauter Nervosität ab.
Demonstrativ hielt sie die Erkennungsmarke hoch und schrie: »FBI! Um Himmels willen, sehen Sie das denn nicht?«
»SETZEN SIE SICH WIEDER IN IHREN WAGEN!«
Judy sah auf die Uhr. Halb elf. Zitternd vor Ärger setzte sie sich wieder ans Steuer. Die Tür ließ sie offen. Es dauerte zum Verrücktwerden lange.
Endlich stieg der Polizist aus und kam zu ihr. »Ich habe Sie angehalten, weil Sie neunundneunzig Meilen in der Stunde gefahren …«
»Hier, bitte, sehen Sie sich das an!« Sie hielt ihm ihre Marke unter die Nase.
»Was ist das?«
»Eine Erkennungsmarke des FBI, Herrgott noch mal! Ich bin FBI-Agentin und in einer dringenden Angelegenheit unterwegs.«
»Also, eines ist mal sicher: Sie sehen nicht aus wie eine …«
Judy sprang aus dem Wagen und drohte dem verdutzten Polizisten mit dem Finger. »Sagen Sie jetzt bloß nicht, daß ich nicht wie eine Agentin aussehe! Sie kennen ja nicht einmal die Erkennungsmarke – woher wollen Sie dann wissen, wie eine FBI-Agentin aussieht?« Sie legte die Hände auf die Hüften, schob ihre Jacke zurück und gab den Blick auf ihr Pistolenholster frei.
»Darf ich bitte Ihren Führerschein sehen?«
»Nein, verdammt noch mal! Ich fahr‘ jetzt weiter, und zwar mit neunundneunzig bis nach Sacramento, kapiert?« Sie setzte sich wieder in ihren Wagen.
»Das dürfen Sie nicht«, sagte der Polizist.
»Schreiben Sie das Ihrem Kongreßabgeordneten!« Judy schlug die Tür zu und fuhr davon.
Sie wechselte auf die Überholspur, beschleunigte wieder auf hundert Meilen und sah auf die Uhr. Sie hatte fünf Minuten verloren, aber sie konnte es gerade noch schaffen.
Sie war dem Polizisten gegenüber ausfällig geworden. Der Mann würde seinem Vorgesetzten Bericht erstatten, der würde sich beim FBI beschweren, und Judy mußte mit einer Rüge rechnen. Aber wäre ich höflich geblieben, stünde ich jetzt noch da…
»Scheiße«, sagte sie mit Gefühl.
Zwanzig nach elf erreichte sie die Abfahrt Sacramento Mitte. Fünf Minuten vor halb zwölf bog sie in das Parkhaus an der Tenth Street ein. Zwei Minuten brauchte sie, bis sie einen freien Stellplatz gefunden
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