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Die Kinder von Erin (German Edition)

Die Kinder von Erin (German Edition)

Titel: Die Kinder von Erin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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Augen der Mórrigan waren mitleidlos.
    »… und darum verfluche ich dich. Mögest du niemals Ruhe finden, bis du dasselbe Schicksal erleidest, das du deinem Freund, deinem anderen Ich, zugefügt hast.«
    War es ein Trick der hereinbrechenden Dämmerung, oder sank die Gestalt wirklich tiefer und tiefer in die Erde, eine offene, klaffende Wunde hinterlassend? Rauch stieg davon auf, nahm ihm den Blick. Aus der Erde dröhnte es wie von Erz. Waffengeklirr.
    Er blickte auf. Dort wo das Häuflein mutloser, schlecht bewaffneter Bauernburschen stand, die gegen ihn in den Krieg gezogen waren, sah er ringsum andere Waffen blinken, die Silhouetten von Pferden und Reitern im Abendschein. Connla war gekommen, mit seinen Mannen. Und das freudige Geheul, das aus der einbrechenden Nacht scholl, konnte nur eines bedeuten: Die Wölflinge waren bei ihm.
    Hagen wandte sich um und floh.



16
Die Stunde der Mórrigan
    Hagen zog durch ein ödes Land.
    Er hatte sich im Schilf des Flusses verkrochen, als das Gemetzel begann. Denn es war keine Schlacht gewesen, eher ein Abschlachten. Zwar waren die Männer an der Furt, die mit Siggi gekommen waren, in der Überzahl, aber gegen die berittenen, gerüsteten, gut ausgebildeten Krieger des Nordens hatten sie keine Chance gehabt. Einige von ihnen hatten ihre Waffen erhoben, hatten sich nicht kampflos ergeben wollen. Doch da ihr Anführer gefallen war, hatte sie auch ihr Mut verlassen. Sie wurden niedergemacht, ehe sie überhaupt zur Gegenwehr kamen. Die anderen hatten ihre Speere und Äxte weggeworfen.
    Hagen, im Schilf versteckt, hatte versucht, Augen und Ohren vor dem zu verschließen, was um ihn vorging. Zu sehen war aus dem Dickicht im Dunkel der einbrechenden Nacht ohnehin nichts. Zu hören war zu viel; die Fantasie malte sich das Übrige aus.
    Das Schlachten war noch eine kurze Zeit weitergegangen. Dann war Ruhe eingekehrt. Er hoffte, dass wenigstens einige von denen, die sich ergeben hatten, am Leben geblieben waren.
    Dann hatten sie begonnen, nach ihm zu suchen. Mit Fackeln hatten sie das Flussufer abgeleuchtet, in der Annahme, dass er vielleicht irgendwo dort verwundet lag und auf Hilfe hoffte. Hagen aber hatte sich nur noch tiefer in den Schlamm geduckt und darauf gehofft, dass die Sucher ihn nicht fanden.
    Natürlich hätte er erhobenen Hauptes auf sie zutreten können. Warum auch nicht? Er war ihr Held. Allein hatte er die Furt gehalten, gegen eine Übermacht von Feinden. Er hatte eine ehrenvolle Wunde davongetragen. Er hatte den Anführer der Gegner im Zweikampf besiegt. Er hatte seinen Eid gehalten. Das war der Stoff, aus dem Heldenlieder gemacht wurden.
    Und dennoch fühlte er sich, als hätte er seinen eigenen Bruder umgebracht.
    Als die falsche Dämmerung heraufzog, die vor dem Morgengrauen kommt, ließ er sich langsam ein Stück den Fluss hinunter treiben. Hinter der nächsten Biegung, an einer Stelle, wo Weiden und Silberpappeln bis an das Ufer reichten, entledigte er sich seiner Rüstung und seines Schmucks – des Helms und der Armreifen, des Halsrings und der Spangen. Er zog das rote Gewand aus, das ihm am Körper klebte, sodass er nur noch in seinen zerschlissenen Jeans und Turnschuhen dastand. Aus dem wollenen Mantel machte er sich mit einem Schnitt in der Mitte eine Art Poncho, den er sich über den Kopf zog. So war er etwas weniger auffällig und gegen die Witterung geschützt.
    Das Gold und Silber ließ er im Wasser zurück. Vielleicht würde irgendwann einmal jemand diesen Schatz heben; vielleicht jemand, der ihn gut brauchen konnte. Nur den Speer behielt er. Er konnte ihm als Stock dienen; die Wunde an seinem Bein tat immer noch weh. Er versuchte die Klinge von dem Schaft zu lösen, aber die drei Nägel waren zu gut befestigt, dass er sie nicht losbekam.
    Es war, als wiederholte sich die Geschichte immer wieder und wieder. Er erinnerte sich, wie er schon einmal, zu einer anderen Zeit, mit einem Speer als Ausgestoßener losgezogen war. Doch dieser Speer hier trug keine Runen, war nicht aus dem schwarzen Stoff des Weltenbaumes, sondern aus dem lebenden Holz des Apfelhains geschnitten. Und diesmal zog er nicht aus, um seinen Freund zu töten. Diesmal hatte er es bereits getan.
    Er wusste nicht, wohin er ging. Sein einziges Ziel war es, möglichst viel Raum zwischen sich und die Stätte seiner Tat zu legen. Er achtete auch nicht auf den Weg. Geduckt huschte er an Mauern entlang und von Gebüsch zu Gebüsch, suchte die Deckung von Bäumen, wann immer sie sich anbot.

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