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Die Kinder von Erin (German Edition)

Die Kinder von Erin (German Edition)

Titel: Die Kinder von Erin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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deine Füße kümmern.«
    Aus dem Hintergrund des Raumes erklang ein meckerndes Lachen. »Moos!«, sagte eine zittrige Stimme. »Moos und Heide, im Sommervollmond geerntet, wenn die hellen Zeiten des Mondes, des Jahres und des großen Zyklus der Jahreszeiten sich verstärken. Dazu Eisenkraut und Färberröte, zu einem Brei gerührt, aufgetragen mit Spinnweben, um die Blutung zu stillen …« Die Stimme verebbte.
    Gunhild hatte noch nie eine so alte Frau gesehen. Gewiss, ihre eigene Großmutter war auch alt, aber sie war eine reizende Dame mit einem weißen Dutt und einer Vorliebe für geblümte Schürzen. Diese Frau war – verhutzelt. Gunhild fiel kein besseres Wort dafür ein. Ihr Rücken war so gebeugt, dass ihr Kinn auf der Brust lag, sodass der Schatten ihre gekrümmte Nase noch größer machte. Ihr Gesicht, soweit es im flackernden Schein der Talglichter erkennen ließ, war wie altes Leder, genarbt und von tiefen Runzeln durchzogen. Aus dem zahnlosen Mund troff Speichel. Die spärlichen weißen Haare hingen ihr wirr ins Gesicht. Sie waren halb unter einem schwarzen Kopftuch verborgen, das entweder einmal eine Spitzendecke gewesen war oder inzwischen so voller Löcher, dass es wie gehäkelt wirkte. Auch ihre übrige Kleidung war schwarz, ein undefinierbares Gewand, welches nur aus Fetzen und Zipfeln zu bestehen schien. Wenn es jemals eine Hexe gegeben hatte, so hatte sie in dieser alten Frau ihr Urbild gefunden.
    Aber Hexen sollten sich bekannterweise auf Kräuterkunde und Heilkunst verstehen. Und dennoch …
    »Spinnweben?« In Gunhilds Stimme lag ein leiser Hauch von Hysterie.
    »Es gibt nichts Besseres in der Natur«, erklärte Brigid. »Glaub mir, wir stammen einer hohen Rasse von Kriegern ab, die viele Schlachten geschlagen haben. Wer sonst als wir Frauen hat immer die Wunden verbinden müssen?«
    »Wir wollen dir nichts Böses, Kind«, sagte Ériu. »Vertraue der alten Caillech. Sie ist die größte Heilerin von Erin.«
    Zögerlich streckte Gunhild den Fuß aus. Die Alte kam herangewackelt. Der Griff ihrer knotigen Hände war überraschend sanft.
    »So feine Füße«, meckerte sie. »So zarte Haut! Komm her, mein Kleines, mein Küken. Ich war auch einmal jung. Ja, jung und schön. Eine Kriegsmaid. Eine Königin …«
    Gunhild musste sie wohl ungläubig angestarrt haben, denn die Alte hob das Kinn und streifte ihr Kopftuch zurück. An ihrem faltigen Hals glänzte ein Reif aus gedrehtem Gold, der vorne in zwei Tierköpfe auslief.
    Gunhild griff unwillkürlich nach dem goldenen Halsreif, den sie selbst trug. Sie hatte ihn noch nie im Spiegel betrachten können, aber sie hätte schwören können, dass er das genaue Gegenstück dazu war.
    »Glaubst mir nicht, was?« Die Alte runzelte die Stirn, soweit das überhaupt noch möglich war. »Schau, den hat mir der junge Amergin geschenkt. Seine Geliebte war ich, ja. Oder war’s Nuadu, der König mit der silbernen Hand? Oder Lugh, unser Sonnenheld; den haben wir alle geliebt … Ach, ich weiß es nicht mehr. Es ist so lange her …«
    Doch während sie vor sich hin brabbelte, hatten ihre erfahrenen Hände bereits damit begonnen, die Binden von Gunhilds Füßen zu wickeln. In einem steinernen Tiegel rührte sie eine Salbe an; Gunhild konnte nicht sehen, woraus sie bestand, aber sie kühlte die schmerzenden Stellen sofort. Also ließ das Mädchen sich zurücksinken, schloss die Augen und überließ sich ganz den Zuwendungen der alten Heilerin.
    Eine geraume Zeit später – es war schwer, hier im Halbdunkel der Höhle, zu sagen, ob es sich um Minuten oder Stunden handelte – war der Schmerz in ihren Füßen einem dumpfen Pochen gewichen. Gunhild saß auf einem steinernen Schemel, eine Schüssel mit dampfender Suppe in den Händen, die Ériu aus einem großen Kessel geschöpft hatte, und löffelte die heiße Brühe in sich hinein. Jetzt erst merkte sie, wie hungrig sie war – und wie gut es tat, diesen Hunger zu stillen.
    »Das war gut«, sagte sie, als sie fertig war. »Kann ich noch etwas haben?«
    Ériu nahm ihr die Schüssel ab. »Vom Kessel des Dagda geht keiner weg, dessen Hunger ungestillt geblieben wäre – es sei denn der gute Gott selbst.«
    »Der Kessel … des Dagda …?«
    Gunhild blinzelte, aber sie konnte den Kessel, der über dem Feuer stand, nicht genau erkennen. Erst jetzt merkte sie, wie satt sie war. Sie hätte keinen Bissen mehr herunterbringen können. Das Stroh, auf dem sie saß, war so weich, und auch ihre Füße taten jetzt gar nicht mehr

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