Die Kinder von Erin (German Edition)
weh. Und sie war so müde. Sie konnte die Augen nicht mehr offen halten. Und so ließ sie sich zurücksinken und schlief.
Ich hätte nicht so viel essen sollen, dachte sie noch, als sie bereits in den Schlaf hinüberglitt.
Zuerst war da nichts. Nur eine große, rote Leere, die sie umfing. Eine wärmende Hülle, in der sie geborgen war. Sie wollte sich drehen, aber hier gab es kein Oben und kein Unten. Hier war die Mitte, das Zentrum aller Dinge. Jeder Weg, der von hier wegführte, ging nach außen. Und dort draußen lauerte das Chaos, der Abgrund; jene endlose Leere, aus der kalt und erbarmungslos der Sturm der Zeit wehte.
Gunhild wusste, was hinter dem Abgrund lauerte.
Nein, sie wollte nie wieder hier weg, wollte nie wieder die Sicherheit, die Wärme, die Geborgenheit gegen die Kälte der Außenwelt eintauschen. Hier war sie eins mit sich selbst.
Dann sah sie den Kessel.
Er war uralt, doch er glänzte wie neu. Ein Feuer schimmerte um seinen Rand und ließ die Beschläge, mit denen der große, halbmondförmige Henkel befestigt war, wie lebendige Wesen erscheinen. Es waren verschlungene Formen, so stark vereinfacht und zugleich so kompliziert, dass man kaum erkennen konnte, was sie darstellten. Doch im Licht der Flammen traten sie deutlich hervor: Hund und Hase, Reh und Hirsch und zwischen ihnen eine Frau mit ausgebreiteten Armen, als wolle sie die ganze Welt umfassen.
Die Herrin der Tiere, fuhr es Gunhild durch den Kopf.
Dann weitete sich das Rund des Kessels, und Gunhild sah sich auf einem Ringwall stehen, gleich den Mauern von Cruachan. Doch dieser Wall war älter, aus Erde errichtet, mit Büschen und Bäumen besetzt, und in seinem Zentrum war eine Art Altar, ein Tisch aus einem einzigen schwarzen Stein. Gunhild hatte das Gefühl, als sei sie schon einmal an diesem Ort gewesen, doch sie konnte nicht sagen, ob diese Begegnung in der Vergangenheit oder Zukunft lag.
Uisnech, der Nabel der Welt.
Sie wusste nicht, woher sie diesen Namen kannte; aber sie wusste, dass das, was sie sah, kein Traum war, sondern eine Vision, die ihr zuteil wurde, von welcher Macht und zu welchem Zweck auch immer.
Sie musste plötzlich an Hagen denken, ihren Freund, den sie verloren hatte. Ob die Vision ihr auch zeigen konnte, wo er war? Gunhild versuchte sich zu konzentrieren, aber gegen die Macht, die sie in Bann hielt, war jede Gegenwehr vergebens.
Der Kreis des Walles weitete sich mehr und mehr, bis er den ganzen Horizont umfasste, und weiter und weiter. Der Sog riss sie mit sich. Dunkelheit brach herein, durchbrochen von den Schatten nachtschwarzer Bäume. Und zwischen den Bäumen sah sie den roten Mann.
Er war riesig. Sein Bauch war so groß wie ein Ballon, aufgebläht wie nach einem gewaltigen Mahl, sodass sein Wams ihm unter die Achseln hinaufgerutscht war und seine Hose ihm um die Knie schlotterte. Er trug einen braunen Mantel, der hinter ihm auf dem Boden schleifte, und seine Füße steckten in haarigen Pantinen. Mit jedem Schritt, den er tat, sank er tief in den Boden ein. In der Hand trug er eine Art Mistgabel aus Holz, auf die er sich aufstützte. Seine Haut war rot am ganzen Körper, glänzend von Fett, und rot war auch sein Haar, das in wilden Borsten emporstand.
Und dennoch, so grotesk diese Gestalt erscheinen mochte, war nichts Lächerliches daran. Eine urtümliche Kraft ging davon aus, eine Kraft, die aus der Erde selbst entstammte, welche der rote Mann durchpflügte.
Er hob den Kopf. Und in diesem Moment wusste Gunhild, wenn sein Blick dem ihren begegnen würde, dann würde er sie sehen und sie erkennen, sie durchschauen bis auf den Grund ihrer Seele …
Gunhild schreckte auf. Über ihr wölbte sich Mauerwerk aus grob behauenen Natursteinen, nur matt erleuchtet. Sie war wieder in der höhlenartigen Kammer, in einem der Kastenbetten an der Wand. Das Stroh auf der Lagerstatt piekste an ihren Beinen. Das Feuer im Herd war niedergebrannt; der Kessel, zur Seite geräumt, sah jetzt so aus wie ein ganz gewöhnlicher großer runder Topf.
»Ah, mein Täubchen! Aufgewacht?«, meckerte eine Stimme in ihrem Rücken. Es war die Alte in den schwarzen Lumpen. »Hast gut geschlafen? Bist hungrig?«
»Der rote Mann …«, stammelte Gunhild. »Wo ist er hin?«
»Du hast den Dagda gesehen?« Die Stimme der Caillech war plötzlich schärfer geworden, der Glanz ihrer Augen härter. »Wie sah er aus?«
»Er war … riesig. Sein Bauch schleifte über die Erde. Und er trug einen langen Zinken, auf den er sich stützte.«
»Ah,
Weitere Kostenlose Bücher