Die Kinder von Erin (German Edition)
weiterfragen konnte, fuhr Ériu schon fort:
»Es wird in Zukunft deine Aufgabe sein, sie zu melken.«
Gunhild verschlug es die Sprache. »Ich … soll da rein?« Sie schluckte. Die Kuh war riesig. Und wenn das Tier austrat oder sie auf die Hörner nahm? »Ich kann überhaupt nicht melken.«
»Dann wirst du es lernen. Komm!«
Sie stiegen über die Trennwand, und Ériu nahm einen Holzeimer von der Wand und einen einbeinigen Hocker, der daneben lehnte. Die Kuh stand ganz friedlich da und rührte sich nicht; auch nicht, als sie näher kamen.
»Braves Tier«, sagte Gunhild und tätschelte ihre Flanke. Aus der Nähe betrachtet, wirkte die Kuh noch größer. Das Tier wandte den Kopf und schaute Gunhild aus großen, feuchten Augen an. Fast glaubte sie, etwas wie Intelligenz in dem dunklen Blick zu lesen.
Ériu stellte den Eimer unter das Euter. »Setz dich hier neben! Den Kopf stützt du gegen die Flanke, dann kannst du nicht umfallen. Du brauchst nur die Hände; du brauchst nichts zu sehen.«
Gunhild hockte sich auf den Melkschemel und tastete nach den Zitzen. Sie fühlten sich kalt an. Sie zog daran, aber nichts geschah.
»Nicht ziehen, drücken! Du musst ein Gefühl dafür bekommen.«
Gunhild drückte. Immer noch tat sich nichts. Sie versuchte es erneut, rechts, links, und hielt wieder inne. Die Kuh, irritiert von soviel Unverstand, tat einen Schritt zur Seite.
Gunhild kippte auf dem einbeinigen Schemel nach vorne und hätte fast das Gleichgewicht verloren. Die Kuh sah sie an und schien zu grinsen. Gunhild rutschte ein Stück näher heran, schob den Holzeimer mit dem Fuß vor sich her und versuchte es erneut. Ja! Es klappte! Ein dünner Strahl Milch spritzte heraus – genau auf die Stelle, wo soeben noch der Eimer gewesen war, bevor die Kuh ihn weggetreten hatte.
»Blöde Kuh!«, fluchte Gunhild. Langsam hatte sie das Gefühl, dass Absicht dahinter steckte. Sie tastete nach dem Eimer, fand ihn aber nicht. Also tauchte sie, immer noch auf dem Schemel balancierend, unter den Bauch der Kuh und sah sich um. Na bitte! Da lag das Ding.
Sie richtete den Eimer wieder auf. Im selben Augenblick schlug ihr etwas Langes, Haariges ins Gesicht, und sie verlor das Gleichgewicht und stürzte.
Als sie sich mit tränenden Augen wieder aufrappelte, zuckte der Schwanz der Kuh nur noch. Dann strich er ihr sanft, beinahe entschuldigend über den Arm.
»Ich glaube, sie mag dich«, kam Érius Stimme aus dem Hintergrund.
»Ich liebe sie auch«, knurrte Gunhild, packte sich Eimer und Schemel und rückte dem Tier erneut zu Leibe. Diesmal ging es besser, und sie schaffte es tatsächlich, dem Euter ein wenig Milch zu entlocken und sie in den Eimer zu landen. Aber es war ein mühsames Geschäft, weil sie immer wieder den Rhythmus verlor. Als der Eimer ungefähr zu einem Drittel voll war, hatte Eriu ein Einsehen und löste sie ab. Mit geübten Strichen füllte sie den Kübel bis zum Rand.
»Du siehst, es ist ganz einfach …«, sagte sie.
»… wenn man es kann«, ergänzte Gunhild, die sich immer noch nicht ganz gefasst hatte. »Wie alles im Leben.«
Als sie zum Wohntrakt zurückgingen, Ériu mit dem Butterfass, Gunhild mit dem schweren, überschwappenden Bottich, fragte das Mädchen wie beiläufig: »Diese Geschichte, die die … die alte Frau mir erzählt hat, ist die wahr?« Sie berichtete kurz von der Geschichte mit dem Dagda und dessen gewaltigem Bauch. Von ihrer eigenen Traumvision sagte sie nichts.
»Ach, die Caillech erzählt viel, wenn der Tag lang ist. Aber es ist wahr, dass Bres, nachdem die Tuatha Dé Danann ihn verjagt und Nuadu wieder zum König gemacht hatten, die Fomorier gegen sie ins Land führte.«
»Die Fomorier …« Sie hatte die grünhäutigen, einäugigen Gestalten noch genau vor Augen. »Woher kamen sie? Wer … oder was sind sie?«
»Oh, sie waren schon früher da«, sagte Eriu. »Ich weiß nicht, ob immer, aber es gab sie schon eine lange Zeit. Sie waren nie ganz aus Erin verschwunden. Sie lebten am Rand der Welt – weit genug entfernt, dass man sie nicht sah, aber nahe genug, um ihre Gegenwart zu spüren. Einige sagen, sie seien unsere Brüder–Abkömmlinge der Tuatha Dé Danann, die auf der langen Irrfahrt unseres Volkes durch einen Zauber verwandelt wurden. Aber das glaube ich nicht.
Einer ihrer Anführer, Elathan mit Namen, nannte Bres seinen Sohn – doch wie das zu verstehen ist, darüber lässt sich streiten. Denn Begriffe wie ›Vater‹ oder ›Mutter‹ kennen sie nicht. Vielleicht war es
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