Die Kinder von Erin (German Edition)
Amergin. »Wir müssen den Wald erreichen.«
Gepeitscht von dem westlichen Wind, der auf der freien Ebene nirgends ein Hindernis fand, prasselte der Regen nahezu waagerecht nieder, eine kalte, unbarmherzige Hand, die einen im Laufen zur Seite drückte, weg von dem sicheren Pfad. Das Erdreich wurde zu Schlamm; Wasserfontänen spritzten auf, wo die Regentropfen einschlugen.
Siggis Kleidung war längst vom Regen durchtränkt; das nasse Fell zerrte an ihm wie Bleigewichte. Die Schwertscheide schlug ihm beim Laufen gegen die Beine, und er hatte Mühe, nicht zu stolpern und das Gleichgewicht zu verlieren. Die Lederschuhe, völlig durchweicht, fanden kaum Halt auf dem glitschigen Boden. Und der Wind riss und zerrte an ihm, als wolle er ihn mit Absicht zu Fall bringen.
»Hierher!«
Blindlings folgte er seinem Führer, hinein in den peitschenden Wind. Der Regen, wenn es denn überhaupt möglich war, wurde noch stärker, stach wie mit tausend Nadeln. Siggi hatte das Gefühl, durch Wasser zu waten, Wasser zu atmen; durch eine Welt, in der die Grenzen der Elemente aufgehoben waren und alles nur noch Wasser und Wind war, eine Flut, die alles Leben hinwegfegte.
Sollte dies sein Schicksal sein, nachdem er durch seine Klugheit das Schwert der Götter erlangt hatte: mitten auf der Ebene im Wasser zu ertrinken? Schlugen nun die Götter zurück?
Er stolperte und schlug aufplatschend vornüber in einen Tümpel. Für den Bruchteil eines Augenblicks überkam ihn der Wunsch, hier liegen zu bleiben und zu warten, wie die Lungen sich mit Wasser füllten, bis alles zu Ende war. Nur frei sein von dem peitschenden Regen und der Kälte, die der Sturm mit sich brachte … Dann fasste ihn eine starke, sehnige Hand am Arm und riss ihn hoch.
Es war keine Verständigung mehr möglich. Schritt für Schritt, in den eisigen Wind gelehnt, gingen Siggi und der dunkle Mann in den Sturm hinein. Zeit und Raum verschmolzen zu einer Einheit. Es gab keine Vergangenheit mehr und keine Zukunft, nur noch den nächsten Schritt, indem man den einen Fuß vor den anderen setzte, und das graue, blinde Wüten ringsum.
Dann war die Macht des Sturmes gebrochen, und sie taumelten in eine Wand von nassen Blättern und Zweigen hinein, die sich um sie schloss, und in das dunkle, feuchte, atmende Innere des Waldes.
Keuchend lagen sie auf dem lehmigen Waldboden. Immer noch umgab sie das Prasseln des Regens, härter noch als zuvor, doch zugleich gedämpft durch das dichte Blätterdach, das einen Teil der Wucht des Sturmes abfing.
»Oh, Mann«, schnaufte Siggi, als er wieder ein bisschen Atem geschöpft hatte, »wenn’s hier regnet, dann aber richtig.«
»Wir sind noch nicht in Sicherheit«, war Amergins einzige Antwort. »Komm, weiter.«
Wie zur Bestätigung ging ein Schwall von Wasser auf sie nieder, der aus dem windgeschüttelten Geäst losgerissen worden war. Auch hier unter den Bäumen regnete es. Das Blattwerk, längst vollgeladen mit Wasser, konnte der Wucht des Sturmes nicht länger standhalten und gab Lücken frei, in denen der tiefgraue Himmel sichtbar wurde. Und selbst hier auf dem Waldboden suchte sich die Flut zwischen Wurzeln und Unterholz in immer neuen Rinnsalen und Bächen ihre Bahn.
Seufzend rappelte Siggi sich auf und folgte dem Druiden. Im Augenblick hatte er nur noch den einen Wunsch: sich irgendwo hinsetzen zu können, wo es warm und trocken war. Aber das war hier in der verregneten Wildnis wohl eine vergebliche Hoffnung.
Tiefer und tiefer ging es in den Wald hinein, doch der Junge hatte kaum Augen für die Umgebung. Die Arme vor dem Gesicht, um sich vor zurückschnellenden Zweigen zu schützen, achtete er vor allem auf den Boden zu seinen Füßen, wo Wurzeln und Gestrüpp das Vorankommen erschwerten. Er merkte wohl, dass es abwärts ging. Immer mächtiger wurden die Bäume, immer tiefer das Halbdunkel. Es musste schon auf den Abend zugehen; Siggi hatte längst jegliches Zeitgefühl verloren.
Dann fand er sich plötzlich in einem umschlossenen Raum wieder. Der Übergang kam so abrupt, dass er das Gleichgewicht verlor und sich unsanft auf den Boden setzte.
»Wo sind wir?«
Ringsum herrschte Finsternis, bis auf einen schmalen Spalt, wo das gefilterte Dämmerlicht des Waldes hereindrang.
Keine Antwort. Dann hörte Siggi in der Dunkelheit ein Klicken, wie von Stein, der gegen Stein schlägt, und sah Funken aufblitzen. Einer der Funken glomm weiter, wurde zu einem züngelnden Flämmchen. In seinem Licht sah er das Gesicht des Druiden, über
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