Die Kinder von Erin (German Edition)
nur in einem übertragenen Sinne gemeint.«
Gunhild nickte. Sie musste an Hagen denken, der sich auch einmal als Sohn eines der Fürsten der Anderswelt gefühlt hatte – und schrecklich enttäuscht worden war.
»Es heißt selbst von Lugh mit der langen Hand, er sei der Sohn oder Enkel Balors gewesen, des Königs der Fomorier; doch dies ist gewiss eine üble Nachrede. Denn er war einer von uns.«
»Lugh?« Den Namen hatte Gunhild schon gehört, aus dem Mund der Alten. »Was ist mit ihm?«
»Er war unser Held. Er hat uns gerettet, in der Schlacht.«
Bevor sie weitererzählen konnte, hatten sie die Bank vor dem Haus wieder erreicht, und dort wartete Brigid bereits auf sie. Statt in ihr langes, durchscheinendes Gewand war sie heute in helles Leinen gekleidet, knapp geschürzt, mit festem Schuhwerk aus Leder. Sie trug ein Schwert in der Hand und in der anderen einen großen, länglichen Schild, reich verziert mit verschlungenen Ornamenten. Ein weiterer, nicht ganz so schmuckvoll, und ein ähnliches Schwert lehnten an der Bank.
»Komm her!«, sagte sie zu Gunhild. »Jetzt beginnt ein weiterer Teil deiner Ausbildung.«
Das Hantieren mit den Waffen gefiel Gunhild besser als das Kühemelken, zumal sie immer sehr sportlich gewesen war. Aber bald merkte sie, dass es hier nicht auf Gewinnen oder Verlieren ankam, sondern allein auf die Technik. Natürlich war Brigid ihr überlegen, doch bei dem zehnten Versuch, einen Überhandschlag korrekt auszuführen, wich die anfängliche Begeisterung rasch.
»Höher, höher mit der Hand und aus dem Handgelenk heraus schlagen! Du musst hinter die Deckung des Gegners gelangen. Sonst machst du dich nur selbst müde.«
»Ich bin schon müde genug«, fauchte Gunhild, »und dieses verdammte Schwert wird immer schwerer.«
Doch Brigid trieb sie unnachgiebig an, und als sie schließlich die Waffen senkten, konnte Gunhild die Arme kaum noch heben.
Bevor sie ins Haus gingen, um sich an der Zisterne zu waschen, warf Gunhild noch einen letzten Blick zum Himmel empor. Nur ein matter Dunst dämpfte das endlose Blau; keine Wolke in Sicht. Die Sonne hatte bereits ihren höchsten Punkt überschritten und neigte sich dem Westen zu. Es war schwer abzuschätzen, wie spät es war, wenn man keine Uhr hatte. Aber die Zeit war ihr sehr lang vorgekommen.
Dann übergab Brigid sie wieder in die Obhut der Alten. Die Caillech gurrte und gluckste, nannte sie »mein Täubchen« und »mein Kindchen«, ließ sie an Töpfchen und Tiegelchen riechen und aus dem Schwall ihrer teils unverständlichen Worte konnte Gunhild nur den einen oder anderen Happen an Information aufschnappen. In den Behältern waren meist Kräuter, teils getrocknet, teils mit Fett zu Salben verrieben, teils in Flüssigkeiten aufgelöst. Ein Kraut, das sraif genannt wurde, sei gut zur Wundheilung, erfuhr sie; es erinnerte sie an Weinranken. Ein anderes, lungait genannt, das sie nicht identifizieren konnte, gegen die Verfärbung der Wunde. Ein drittes, argetliub, was »Silberpflanze« bedeutete, war gut für die Haut. Ein viertes –
»Ah, das kenne ich! Das ist Minze.«
»Gut, mein Häschen, sehr gut. Und wozu nützt es?«
»Für Tee, denke ich. Bei Erkältung, zum Beispiel.«
»Ja, gut, sehr gut. Am besten mit Holunder und Scharfgarbe gemischt. Und immer warme Decken bereit halten, weil man dann schwitzt. Aber es hilft noch mehr. Gegen Magenbeschwerden, bei Durchfall und gegen die Monatsschmerzen der Frauen. Du kennst das?«
Gunhild nickte stumm und ein wenig fassungslos.
»Aber nicht zu viel, sonst bekommt man Brechreiz! Minztee lindert Koliken und hellt die Stimmung auf. Ein paar Tropfen Öl sind gut gegen Ohrenschmerzen; in Wasser gelöst verringern sie Juckreiz und Sonnenbrand. Und ein Blatt Minze im Beutel sorgt dafür, dass immer Geld hereinkommt …«
Und so weiter. Gunhild schwirrte bald der Kopf von den vielen Namen und Gerüchen. Dann kam der anstrengende Teil. Denn ebenso unbeirrbar, wie sie ihr zunächst alles vorgeplappert hatte, nahm die Alte sie dann ins Gebet. Mit geschlossenen Augen musste Gunhild die Kräuter wiedererkennen, musste ihre Eigenschaften und Verwendungsformen hersagen. Und immer, wenn sie nicht mehr weiter wusste, stach sie die Alte mit ihrem knochigen Finger. Am Ende hatte sie das Gefühl, nur noch aus blauen Flecken zu bestehen. Und sie war müde, entsetzlich müde.
Schließlich murrte sogar die Alte: »Ich glaube, es hat heut keinen Zweck mehr mit dir, Kindchen. Pass auf den Kessel auf; ich habe etwas
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