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Die Kinder von Erin (German Edition)

Die Kinder von Erin (German Edition)

Titel: Die Kinder von Erin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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verloren.«
    »Nein!« Die Stimme des Alten klang beschwörend. »Ich kann dort nicht hin, aber du wohl. Du brauchst ein Boot und eine Mannschaft. Folge der Spur der Steine; dort, wo drei hohe Steine ins Meer hineinführen, findest du am Horizont die Spitze eines Pfeilers, der aus den Wellen ragt. In seinem Innern kannst du hinabsteigen und den Krieg in das Land der Lebenden tragen …«
    Der Krieger runzelte die Stirn. »Du scheinst mir ein recht blutrünstiges Bürschchen zu sein«, meinte er. »Und wieso kannst du nicht mitkommen?«
    »Ich bin eins mit dem Land Erin«, sagte der braune Mann. »Wenn ich es verlasse, muss ich sterben.«
    Der andere schien noch nicht ganz überzeugt zu sein. Er wandte sich zum Gehen. »Schauen wir mal«, sagte er, »was der König zu dem Ganzen zu sagen hat.«
    »… und eines Tages«, fügte der Alte hinzu, so leise, das keiner es hören konnte, »wird dieses Land wieder mir gehören.«
    »Was?« Cúchullin fuhr herum. »Was hast du gesagt?«
    »Nichts, gar nichts …«
    … aber die stumme Beobachterin hatte es dennoch gehört. Ich muss ihn warnen, dachte Gunhild. Dieser alte Mann führt nichts Gutes im Schilde. Ich muss Hagen klar machen, dass er an der völlig falschen Stelle sucht.
    Ihr Kopf fuhr hoch, und ihre Konzentration brach. Über den Kessel hinweg starrte sie in die Augen der Caillech.
    »Was hast du gesehen?«
    »Nichts«, stammelte Gunhild, »gar nichts.«
    »Aber du hast etwas gesehen!«
    »Es war nur das Licht vom Boden des Kessels. Es hat mir in die Augen gestochen. Darum musste ich blinzeln.«
    Sie blickte in das Wasser hinab. Auf dem Grunde des Kessels waren nur verschwommene Schatten.
    »Lass es mich noch einmal versuchen«, bettelte sie. »Ich tue auch ganz bestimmt, was du sagst.«
    Die Alte schien besänftigt. »Dann komm her, Kleines«, sagte sie. Gunhild rückte näher und starrte wieder in den Kessel. »Denk an gar nichts. Mache deinen Geist ganz frei. Schau ins Wasser. Schließ die Augen.«
    Ein Summen lag im Raum, vibrierte in ihren Schläfenknochen. Es breitete sich aus, bis es die ganze Höhle erfüllte, die ganze Welt. Ihr schwindelte.
    »Schließ die Augen und du wirst sehen …«
    Und sie sah …
    Diesmal war es wieder wie Fliegen. Sie war gefangen im Körper eines großen Vogels, der vom Wind getragen über die Hügel schoss. Es war seltsam, die Welt so zweigeteilt zu sehen, mit jeweils einem Auge auf jeder Seite des Kopfes. Und die Sinneseindrücke mit einem so kleinen Vogelhirn zu verarbeiten, nahm so viel Raum in Anspruch, dass für eigene Gedanken darin kaum mehr Platz blieb.
    Der Vogel schwang sich über die Baumwipfel hinweg. Vor ihm lag ein Dorf, kam mit atemberaubender Geschwindigkeit näher. Nein, es war eher eine Burg, mit einer Umfassungsmauer, einigen Nebengebäuden und einem hohen, runden Hauptbau, der mit Schindeln gedeckt war.
    Der große, schwarze Vogel hielt auf die Traufe des runden Gebäudes zu, wo die überhängenden Enden der Schindeln mit der Mauer einen schützenden Winkel bildeten, und wischte darunter vorbei. Schwalben hatten sich hier ihre Nester gebaut. Sie flatterten auf, um den Eindringling von ihrer Brut abzulenken. Aber den schwarzen Vogel interessierte das nicht. Sein Kopf ruckte hin und her, bis er fand, was er gesucht hatte.
    Dort, zwischen den Stützbalken, auf denen der Dachstuhl ruhte, und dem Mauerwerk war eine Lücke. Sie reichte gerade aus, dass ein kleiner Körper hindurchschlüpfen konnte. Der Vogel war groß, doch er konnte sich klein machen. Er hielt auf die Lücke zu, legte die Flügel an und schoss hindurch, um im nächsten Moment innezuhalten und mit ausgebreiteten Flügeln auf einem Balken zu landen.
    Eine einzelne schwarze Feder flatterte zu Boden. Jemand hob sie auf, doch der Vogel achtete nicht darauf. Seine ganze beschränkte Aufmerksamkeit war auf das gerichtet, was sich im Innern der Halle abspielte.
    Auf einer Art Podest jenseits der offenen Feuerstelle saß ein Mann. Der Stuhl auf dem er saß, hatte hohe, reich geschnitzte Lehnen: ein Thron. Der Mann war reich gekleidet; er trug ein blaues Gewand und einen roten, mit Gold gesäumten Mantel. Um seine Stirn lag ein goldener, schmuckloser Reif. Der Mann mochte die Mitte des Lebens schon überschritten haben, denn sein dunkles Haar ergraute schon an den Schläfen, doch er war noch im Vollbesitz seiner Kraft: ein König.
    Ihn umstanden ein paar Männer, Weise und Ratgeber, wie es schien; denn sie waren alt. Außer den beiden Leibwachen zur Rechten

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