Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kinder von Erin (German Edition)

Die Kinder von Erin (German Edition)

Titel: Die Kinder von Erin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
Vom Netzwerk:
auch die Reiter.
    Sie erschrak, mehr als sie es je für möglich gehalten hätte. Die Zeit der Einsamkeit hatte sie so auf diese kleine, überschaubare Umgebung konzentriert, dass ihr die Fremden wie Einbrecher erschienen. Sie hatten hier nichts zu suchen!
    Dann sah sie Metall an Helmen und Rüstungen blinken, sah die Silhouetten von Speeren und Bannern, die im Wind flatterten. Der Wind trug das Klirren von Waffen und Rüstungen herbei. Krieger! Gunhild stürzte ins Haus, weniger aus Angst, als um Brigid und Eriu Bescheid zu geben, dass Cruachan von Fremden heimgesucht, möglicherweise gar angegriffen wurde.
    Im Innern der Feste fand sie nur die Caillech.
    »Krieger!«, keuchte sie. »Männer mit Speeren und in Rüstung. Reiter … sie kommen hierher. Was sollen wir tun?«
    »Ach, mein Täubchen!« Die Alte winkte ab. »Nur keine Angst. Sie kommen nicht bis hierher. Noch nie ist einer von ihnen bis hierher gekommen. Sie wollen die Steuern eintreiben, für die Herren des Nordens, die neuen Könige. Aber wir zahlen keine Steuern, noch nie …« Sie kicherte.
    »Aber wieso nicht?«, fragte Gunhild, in der Hoffnung, etwas mehr über die politischen Verhältnisse zu erfahren. Aber die Alte schien ihre Frage falsch verstanden zu haben, denn sie fuhr fort:
    »Sie können uns nicht sehen, verstehst du?« Ihre Stimme sank zu einem Flüstern. »Keiner kann Cruachan sehen, wenn wir es nicht wollen. Man nennt es die Täuschung der Sinne, die Blendung des Auges. Sie schauen hin, aber sie sehen nicht.«
    Als sie die Skepsis in Gunhilds Blick sah, fuhr sie rasch fort: »Du glaubst mir nicht? Ach, mein Püppchen, die Sidhe sind Meister des Nichtgesehenwerdens. Sie werden eins mit den Bäumen, den Steinen, dem Wasser; sie sind ganz in deiner Nähe, doch du siehst sie nicht. Aber sie selbst sehen viel, meilenweit und so nah, als wäre man am Ort des Geschehens selbst.«
    Ein Gedanke keimte in Gunhild auf. »Kannst du es mir zeigen? Wie man fernsieht, meine ich.« Sie sparte sich eine Bemerkung darüber, dass sie ihren Fernseher von zu Hause vermisste; das hätte die Alte sowieso nicht verstanden.
    »Gewiss, mein Häschen, gewiss …« Sie kicherte. »Du willst den Zauber der Sidhe sehen, ja? Du sollst ihn sehen, gewiss! Aber du weißt, dass jeder Zauber seinen Preis hat?« Ihr Blick war lauernd.
    Was kann an einem bisschen Fernsehen schon so schlimm sein?, sagte sich Gunhild! Dennoch merkte sie, wie sie vor unterdrückter Erregung zitterte. »Ist er böse, der Zauber?«, fragte sie vorsichtshalber.
    »Böse? Was ist böse? Ich sage dir, kein Ding an sich ist böse oder gut, sondern nur, wozu man es verwendet. Aber manchmal ruft ein Stein, den man in den Brunnen wirft, tiefe Wellen hervor, die bis an den Rand des Meeres schlagen. Du musst es wissen – willst du oder willst du nicht?«
    »Ich will«, sagte Gunhild. »Lass mich sehen!«
    »Dann hol den Kessel.« Und als Gunhild zögerte: »Na, komm, hol ihn schon.«
    Der Kessel stand in der erkalteten Asche des Herdes. Er wirkte still, geradezu verdächtig harmlos. Ein ganz gewöhnlicher Kessel. Dennoch verharrten Gunhilds Finger einen Moment, ehe sie ihn anfasste. Sie hob ihn hoch; er war schwerer, als es den Anschein gehabt hatte. Zum ersten Mal sah sie die Ornamente auf dem Rand bei Licht, zumindest im Schein der Kerzen, die in der Halle mit ruhiger Flamme brannten. Die Verzierungen erwiesen sich als Ösen, drei an der Zahl, regelmäßig um den Rand verteilt. Vermutlich waren sie dazu gedacht, Haken für eine Kette aufzunehmen, an der man den Kessel über ein Feuer hängen konnte.
    Gunhild besah sich eine der Ösen genauer. Sie erinnerte sich noch genau, wie sie die seltsamen Figuren gesehen hatte – die Herrin der Tiere, eine Frauengestalt mit ausgebreiteten Armen, an denen sich rechts und links seltsame Wesen aufbäumten. Jetzt, bei näherem Hinsehen, lösten sich die Figuren in ein Geflecht von Bändern und Knoten auf, sodass sie eher Ranken als Tieren ähnelten. Doch wenn sie die Augen halb schloss, sah sie mit verschwommenem Blick wieder den Hirsch und den Hund.
    »Komm, stell den Kessel hierhin!«, gebot die Alte. Ihre Stimme klang jetzt gebieterisch, als sei sie es gewohnt, dass man ihren Anweisungen Folge leiste. »Und dann nimm dir den Eimer und hole Wasser.«
    Auf dem gekrümmten Weg zum Brunnen lauschte Gunhild unwillkürlich nach draußen, ob sie etwas von den Reitern hörte, die sie in der Ferne erspäht hatte. Doch nichts drang von draußen herein, weder

Weitere Kostenlose Bücher