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Die Kinder von Erin (German Edition)

Die Kinder von Erin (German Edition)

Titel: Die Kinder von Erin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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erschrak fast, als sie das Echo hörte. Es setzte sich fort durch die Höhlen, ein Flüstern, ein Wispern. Ein Echo? Sie hatte hier nie ein Echo vernommen. Nein, das waren andere Stimmen.
    Vielleicht war es doch noch ein Rest ihres seltsam geschärften Bewusstseins, dass sie die Stimmen wahrnehmen konnte. Sie lauschte ins Höhleninnere. Im ersten Moment hörte sie nichts, aber dann kam es wieder: Fetzen eines Gesprächs. Sollte sie versuchen herauszufinden, um was es da ging? Einen Augenblick lang zögerte sie. Ihre Gastgeberinnen zu belauschen – denn um niemanden sonst konnte es sich da handeln – kam ihr wie ein Vertrauensbruch vor. Aber dann siegte die Neugierde.
    Gunhild setzte den vollen Milcheimer auf einem Sims ab und schlich auf Zehenspitzen ins Höhleninnere. Der nächste Raum, wo sie den Wagen gefunden hatte, war noch von einem Dämmerschein erhellt, aber in der folgenden Kammer wurde es bereits finster. Wieder lauschte Gunhild in die Dunkelheit. Die Stimmen kamen von dort.
    Gunhild tappte mit vorgestreckten Armen weiter, bis sie gegen eine Wand stieß. Sie tastete nach rechts und links. Überall nur kalter Stein.
    Dann spürte sie den Luftzug, der von oben kam.
    Sie griff hinauf. Ihre tastenden Finger fanden eine Kante. Dahinter war Leere. Sollte sie es wagen? Sie erinnerte sich, wie sie vor langer Zeit in einem anderen Höhlensystem, fern in der Heimat, durch lichtlose Gänge gekrochen war. Damals war ihr Bruder bei ihr gewesen, und sie hatten einen Führer gehabt. Aber der war nun tot …
    Sie verscheuchte den Gedanken und sprang.
    Mit Schultern und Armen kam sie auf der Felskante zu liegen. Ihre Hände suchten Halt; irgendwo musste man sich doch festhalten können. Staub wirbelte auf, Moder aus vielen Jahren, doch zum Glück pulvrig und trocken. Rechts und links waren Seitenwände, zum Greifen nahe. Sie konnte nichts sehen. Ihre Finger rutschten über den Stein.
    Die Wände hier waren gemauert, stellte sie fest. Sie krallte sich in die Fugen, spannte die Muskeln und zog sich mit einem Ruck hinauf, wobei ihre Beine wie Froschschenkel in der Luft zappelten. Dann war sie oben, zumindest halb. Ein weiterer Griff, ein Zug, und sie lag schnaufend auf dem Bauch in der engen Röhre.
    Gunhild richtete sich vorsichtig auf, aber nicht vorsichtig genug, um nicht doch mit dem Kopf gegen die Decke zu stoßen. Aua! Kein Wunder, dass die Zwerge der Unterwelt immer Helme trugen!
    Nichts war zu sehen. Der lose Staub, den ihre Bewegungen aufgewirbelt hatten, drang ihr in die Nase und brannte in den Augen. Gunhild wartete noch einen Moment, um den aufgewühlten Teilchen Gelegenheit zu geben, sich wieder zu setzen. Dann sah sie in der Ferne, weit voraus, einen Lichtschimmer.
    Vorsichtig kroch sie weiter, stets darauf bedacht, den Kopf unten zu halten. Trotzdem stieß sie noch einmal gegen die Decke. Es tat scheußlich weh. Doch allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die Düsternis. Und der Lichtschimmer kam immer näher.
    Es war eine Art Fenster. Ein gemauerter Rundbogen, der in einen anderen Gang führte. Einen Schacht, verbesserte sie sich. Neugierig schob sie den Kopf hindurch.
    Ein paar Steinchen, die über die Kante rieselten, platschten unten ins Wasser.
    Der Brunnen! Sie erinnerte sich. Schon als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, hatte sie sich gefragt, wohin der Durchgang auf der anderen Seite führen mochte. Sie blickte hinaus auf den Gang, der jenseits des Brunnens lag. Jetzt wusste sie wieder, wo sie war.
    Sie zog den Kopf wieder zurück und blinzelte ob der plötzlichen Dunkelheit. Vor ihr ging es in Richtung der Hauptkammer.
    Noch langsamer und vorsichtiger als zuvor kroch sie weiter. Einmal hörte sie ein Rascheln wie von kleinen Füßen: ein Tier, das sich hier in der Dunkelheit verkrochen hatte. Gunhild erstarrte. Was würde sie tun, wenn jetzt ein Marder auf sie zukam, der mit Krallen und Zähnen seinen Bau verteidigte? Selbst ein Eichhörnchen würde schon reichen, hier in der Enge. Doch das Geräusch kam nicht wieder.
    Dafür hörte sie wieder die Stimmen.
    »… ob sie schon so weit ist? Ob sie die Macht schon spürt?« Das war Ériu.
    »Oh, ich hab sie gesehen. Ich hab sie schreien hören, als …«
    Die Stimmen verblassten, schwollen wieder an.
    »… und habt ihr die Krähenfeder gesehen, am Grunde des Kessels? Sie war die Mórrigan, ich schwör’s euch …«
    »Oder nur eine Krähe, die ein verirrter Pfeil traf?« Brigids kühler Ton.
    »Vielleicht, vielleicht.« Das war wieder die Alte.

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