Die Kinder von Erin (German Edition)
biegsamen Stock und einer Sehne aus Tierdärmen. Man musste schon ein ziemlich glücklicher Schütze sein, um damit einen ausgewachsenen Mann zu erwischen. Also blieben ihnen – abgesehen von einem einzigen Schwert – in erster Linie nur Steinschleudern, Stöcke und improvisierte Speere. Und das bisschen Grips, das sie aufbringen konnten.
»Wir brauchen angespitzte Pfähle. Und Seile. Und Netze. Soviel wir beschaffen können.«
»Aber ich dachte, wir wollen kämpfen«, widersprach Oisín, und einige andere stimmten darin ein.
»Wichtig ist, was am Ende dabei rauskommt.« Welcher Fußballtrainer hatte das gesagt? »Wir wollen gewinnen. Helden kann ich dabei nicht brauchen. Wir sind ein Team, eine Mannschaft. Ihr wisst doch: ›Einer für alle …‹«
»› … und alle für einen!‹«
Der Spruch hatte ihm schon immer gefallen, auch wenn er ziemlich blöd klang. Aber Siggi war selbst erstaunt, welche Wirkung diese Worte entfalteten.
Mittlerweile waren sie schon weitaus mehr als die sprichwörtlichen Musketiere. Irgendwie hatte es sich in Windeseile herumgesprochen, was sie planten, und so waren weitere junge Burschen aus Tlachtga und den umgebenden Gehöften herbeigeeilt, um sich der Fianna, wie sie Siggis Bande nannten, anzuschließen.
Auch einige Erwachsene waren darunter. Zuerst hatte Siggi Bedenken gehabt, ob erwachsene Leute sich überhaupt in die Truppe einfügen würden. Aber es zeigte sich, dass auch ein unverdienter Ruf etwas Gutes hatte. Mittlerweile kursierten offensichtlich schon so fantastische Gerüchte über die Bedingungen für eine Aufnahme in Finns Kriegerschar, dass die meisten froh waren, überhaupt mitmachen zu dürfen.
So hieß es, dass jeder erst einmal zwölf Gedichtbücher auswendig können müsse. Und außerdem würde man bei der Aufnahme bis zur Hüfte in ein Loch eingebuddelt und neun Männer würden mit Speeren nach einem werfen, wogegen man sich selbst nur mit einem Schild und einer Haselrute verteidigen dürfe. Und wenn man nur eine Wunde davontrüge, wäre man nicht geeignet, in die Fianna aufgenommen zu werden. Und man müsse sechs Stunden mit hochgestecktem Haar durch den Wald laufen, und wenn dabei nur eine Strähne in Unordnung gerate oder man dabei nur einen Zweig breche, wäre man nicht geeignet, in die Fianna aufgenommen zu werden. Und wenn man nicht imstande sei, einen Sprung über einen Stock zu machen, so hoch wie man selbst, und gebückt unter einem hindurchzugehen, so hoch wie das eigene Knie, und nicht in der Lage sei, sich im vollen Lauf einen Dorn aus dem Fuß zu ziehen, wäre man, so hieß es, nicht geeignet, in die Fianna aufgenommen zu werden.
Mit solchen Supermännern, dachte sich Siggi, könnte es die Fianna selbst mit den Tuatha Dé Danann in ihrer Glanzzeit aufnehmen.
Dennoch war er froh um die älteren Mitstreiter, auch wenn sie nicht imstande waren, einen Stock in Stirnhöhe zu überspringen. Sie brachten etwas Ruhe in die aufgeregte Truppe. Und froh war er vor allem um einen: ein alter, knorriger Mann, der mit einem großen Sack auf der Schulter angehumpelt kam und seine Last klirrend auf den Boden warf. Es war der Dorfschmied von Tlachtga, und was er bei sich trug, war sein vergrabener Schatz von Speerspitzen. Zugegeben, die meisten waren schartig und verbogen, von Rost oder Grünspan gezeichnet. Doch mit ein paar willigen Gehilfen war der alte Schmied in wenigen Stunden imstande, die meisten von ihnen zu richten und eine Anzahl von brauchbaren Speeren zu schäften, sodass sie zumindest ein paar richtige Waffen hatten.
Siggi nahm sich einen der Speere und sah ihn sich an. Wenn man die Spitze, die aus Bronze gegossen war, betrachtete, glaubte man darin feine Linien zu erkennen, endlos geflochten zu einem Band, das auftauchte und wieder verblasste.
»Das ist ein sehr altes Stück«, bemerkte er. Es erinnerte ihn von der Form her irgendwie an sein Schwert. »Noch aus der Zeit der Tuatha Dé Danann?«
»Ich schmiede schon lange«, sagte der Alte. Seine schwarzen Augen verrieten nichts. »Und meine Väter vor mir.«
Sie standen mit Oisín und Dermot, die Siggi zu seinen Hauptleuten ernannt hatte, und dem kleinen Oscar, der ihm nicht von der Seite wich, im Lager zusammen. Es war gegen Mittag des zweiten Tages seit ihrer ersten Begegnung. Siggi hatte nach Oisíns Aussagen und den Angaben der ausgeschickten Späher eine grobe Karte in die Erde gekratzt.
»Und du bist sicher, dass sie hier durch müssen?«, fragte er noch einmal, an Oisín gewandt.
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