Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich
möglich, ein wenig von ihm zurück. Gorian dämmerte bereits, wohin seine Kräfte ihn führen konnten. Jhered dagegen sah das Gespenst eines Generals, der sie manipulierte und größere Macht für sich selbst zu erringen suchte. Die anderen hielten noch an dem begrenzten Bild fest, das die Autorität für sie gezeichnet hatte. Eine Sichtweise, die Jhered achten konnte. Gorian jedoch hatte für einen Moment bereits auf die Schwierigkeiten hingewiesen, vor denen sie unweigerlich stehen würden, wenn diese jungen Geister ihren Wirkungsbereich erweiterten.
Sie konnten die Gefahren offensichtlich nicht erkennen.
»Nun denn«, sagte er. »Ihr habt meine erste Frage, wie ihr euch mir genähert habt, beantwortet. Ihr drei stimmt nicht mit ihm überein. Aber ist er nicht realistischer als ihr?«
Arducius schüttelte den Kopf. »Was wir haben, dürfen wir nur nutzen, um Gottes Werk zu tun. Das bedeutet, zu heilen und das Wachstum zu fördern, aber nicht, ein Schlachtfeld schlüpfrig zu machen.«
»Oh Arducius, du begreifst es nicht«, sagte Gorian. »Wir könnten es regnen lassen, wenn unsere Truppen angreifen, weil dann die Pfeile der Feinde nicht mehr richtig fliegen und treffen. Wir könnten Blitze auf die Rüstungen der Feinde lenken und das Leben unserer eigenen Leute retten. Ich dachte, ihr mögt Kovan, aber im Gegensatz zu mir habt ihr ihm nicht zugehört.«
»Du tust immer so klug, Gorian«, sagte Arducius. »Warum gehst du nicht einfach weg, weil du sowieso schon alles weißt?«
»Warum sagst du das? Ich höre zu und lerne. Sei nicht neidisch, nur weil du nicht kannst, was ich tun kann.«
»Ich bin froh darüber, nicht das Gleiche zu tun wie du«, fauchte Arducius. »Wer will denn schon mit dir tauschen?«
»Hört auf«, sagte Mirron. »Das ist mir peinlich.«
Mit geröteten Wangen und feuchten Augen schaute sie zu Jhered auf. Ossacer ließ wieder den Kopf hängen.
»Ich will meine Arbeit nicht im Krieg tun«, flüsterte er.
Jhereds Herz stockte einen Moment, und er kämpfte den Drang nieder, dem Jungen eine tröstende Hand auf die Schulter zu legen. Arducius war schon bei ihm.
»Es wird sein, wie die Götter es wollen, Ossie«, sagte er.
Jhered beobachtete sie. Die drei schlossen sich zusammen, und Gorian blieb abseits, selbstbewusst und sich selbst genug. Sie waren ein faszinierendes Quartett. Jhered war nicht sicher, was er eigentlich erfahren hatte. In vielerlei Hinsicht waren sie nur junge Leute wie alle anderen, die in den Straßen der Konkordanz herumliefen. In anderer Hinsicht begriffen sie, welche Bürde ihre Begabungen waren. Einer von ihnen hatte sogar ein Stück weit erkannt, dass sie auch benutzt werden konnten, um Macht und Einfluss zu gewinnen.
Sie schwatzten über dieses und jenes, während der Nachmittag in einen prächtigen feurigen Abend überging. Als Jhered aufstand und ging, war ihm schon klar, dass er die Nacht über wach liegen würde, um zu ergründen, was er für diese Kinder empfand. Er bedankte sich bei ihnen für ihre Zeit und Geduld und ging zum Tor hinunter.
»Schatzkanzler Jhered?«
Er drehte sich um. Arducius stand da, die anderen hatten ihn umringt.
»Ja, Arducius?«
»Wir sind nicht böse. Wir haben nicht um die Fähigkeiten gebeten, die wir besitzen, sondern wurden mit ihnen geboren. Jetzt können wir nur noch das Beste aus ihnen machen und versuchen, unser Leben zu führen, wie Gott es sich wünschen würde. Ruft nicht den Orden herbei. Sie würden uns verbrennen, und das haben wir nicht verdient.«
Jhered nickte knapp und drehte sich auf dem Absatz um. Bevor er in seine Räume in Vasselis’ Villa zurückkehrte, unternahm er einen langen Spaziergang am Strand.
Vasselis ritt mit Jhered zum Gipfel der Anhöhe, von der aus sie vor zehn Tagen auf das beschauliche Westfallen hinabgeblickt hatten. Der Marschall war froh, dass diese Beschaulichkeit nicht zerstört worden war, so kurz die Schonfrist auch sein mochte. Es war der fünfzigste Tag des Genasab, aber der sengenden Hitze nach hätte es auch ein Tag in der Mitte des Solastro sein können.
Vasselis war ohne jede Leibwache ausgeritten. Hier drohte ihm keine Gefahr, und Jhereds Levium war eine ehrenvolle Truppe, erfahren und beispielhaft. In dieser Gesellschaft fühlte er sich sicher, ganz egal, wie belastet ihre Freundschaft im Augenblick war. D’Allinnius und Harkov waren wie Ehrengäste empfangen worden und hatten unter denen, die sie überprüfen sollten, neue Freunde gefunden. Vasselis achtete sie
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