Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich
fester zu, bis der Konsul husten musste. Er war ein kleiner Mann mit kurz geschnittenem schwarzem Haar und einem Bauch, der dank des luxuriösen Lebens angeschwollen war.
»Euer teures Heer existiert nicht mehr«, rief er. Sein Speichel spritzte dem Konsul ins Gesicht, und er schüttelte ihn bei jedem Wort. »Sie haben keine Anführer mehr, sie haben Angst, und sie sind besiegt. Ihr habt mich und meine Leute in Eurer Überheblichkeit und in Eurer Taubheit gegenüber meinen Warnungen jeglicher Verteidigung beraubt. Wohin können wir uns jetzt wenden?«
Der Konsul hob beschwichtigend die Arme. Eine erbärmliche Geste.
»Ich verstehe Eure Sorgen.«
»Ihr habt keine Ahnung, worüber ich mir Sorgen mache. Ihr verlasst niemals Eure Villa und fresst Euch auf meine Kosten voll. Ihr seht nichts und versteht nichts. Fünfzigtausend tsardonische Krieger nähern sich meinen Grenzen, und ich habe drei Legionen. Drei! Keine davon hat Kampferfahrung, keine von ihnen wurde jemals im Gefecht eingesetzt.«
»Selbstverständlich sollt Ihr eine bessere Verteidigung bekommen«, sagte der Konsul. »Ich werde sofort mit meinen Ratgebern nach Estorr zurückkehren und die Advokatin unterrichten, dass …«
Yuran lachte ihm laut und offen ins Gesicht. »Oh nein, mein Wiesel, das werdet Ihr nicht tun. Wenn ich durch die Hand des Königs von Tsard sterben soll, dann werdet Ihr neben mir stehen.«
Jetzt zeigte der Konsul echte Angst. »Ich …«
»Ihr dachtet daran zu fliehen. Selbst nach den Maßstäben der konkordantischen Konsuln seid Ihr ein Waschlappen. Ich habe bereits eine Delegation nach Estorr geschickt. Die meisten Einnehmer haben meine Leute begleitet, um ihnen Glaubwürdigkeit zu verleihen. Wenn sonst nichts, dann haben sie wenigstens Mut und verdienen die Anerkennung der Advokatur. Ihr dagegen habt keines von beiden. Ihr werdet die Stadt nicht verlassen. Genauer gesagt, werdet Ihr Eure Villa nicht mehr verlassen, solange ich es nicht ausdrücklich gestatte.«
Der Konsul stammelte etwas Unzusammenhängendes. Yuran stieß ihn noch einmal gegen die Wand.
»Der Krieg kommt in mein Land, und Ihr, mein rückgratloser Aufpasser, werdet ihn mit mir zusammen durchstehen.«
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848. Zyklus Gottes, 25. Tag des Solasauf
15. Jahr des wahren Aufstiegs
D er Morgen dämmerte, und Kanzlerin Koroyan war wütend. Ihr Wagen fuhr hinter dem Ersten Schwertkämpfer Vennegoor und den Gottesrittern, als sie einen Wachtposten überfielen. Sie lehnte sich aus dem Fenster und konnte rennende Männer erkennen. Einer sprang auf ein Pferd und galoppierte in Richtung Stadt davon. Ein offenbar lange geübtes Manöver.
Vennegoor hob drei Finger, worauf drei Reiter die Verfolgung aufnahmen. Die anderen ritten in einem Bogen, um jeden weiteren Fluchtversuch zu unterbinden. Vor ihnen standen acht Männer in der Uniform des Marschalls Vasselis. Sie gehörten seiner persönlichen Truppe und keiner konkordantischen Legion an und waren vernünftig genug gewesen, weder eine Waffe zu ziehen, noch einen Pfeil auf die Bogensehne zu legen.
Vennegoor stieg ab, als Koroyans Kutsche klappernd anhielt. Er öffnete für sie die Tür und begleitete sie zu den Wächtern. Es waren offenbar erfahrene Soldaten. Keiner zeigte sonderliche Angst, was für ihre Treue gegenüber Vasselis und ihrem Glauben an den Orden ein beredtes Zeugnis ablegte. Die Wappen des Ordens hatten sie natürlich längst bemerkt.
»Ihr steht unter Anklage, Ketzerei verübt und das Böse in der Stadt Westfallen beschützt zu haben«, sagte sie und beobachtete, wie sich die Furcht in ihre Mienen schlich. »Außerdem seid ihr angeklagt, den Orden bei der Durchführung seiner Aufgaben zu behindern. Ihr beherbergt und beschützt eine ketzerische Leserin. Ich, Felice Koroyan, Kanzlerin des Ordens der Allwissenheit, klage euch dieser Vergehen an. Wie bekennt ihr euch?«
Felice sprach bewusst neutral und sachlich, obwohl sie innerlich kochte. Zum dritten Mal hatte sie sich gezwungen gesehen, Leute anzuklagen, die nur auf Befehl von Vasselis handelten. Zum dritten Mal konnte sie deren Furcht fast körperlich spüren.
Sieben der acht sanken auf die Knie und legten die Hände auf den Boden. Der Hauptmann nahm den Helm mit dem Federbusch ab und hielt ihn vor seine Brust. Er war noch recht jung und hielt sich wie ein Berufssoldat, auch wenn er sie, genau wie seine Leute, in stummem Schrecken anstarrte.
»Sprecht«, forderte Vennegoor sie auf. »Die Kanzlerin hat euch etwas gefragt.«
»Wir sind
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