Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich
gefreut. Vielleicht hatte sie es die ganze Zeit geplant.
Yuran konnte nur hoffen, dass dies tatsächlich zutraf. Er hob seinen Kelch und trank noch einen Schluck.
»Wie gefällt dir das flambierte Ziegenherz?«
»Interessant«, erwiderte sie. »Es ist nicht die Kost, an die ich sonst gewöhnt bin, mein Herr.«
»Bitte«, sagte er. »Dies ist ein zwangloses Abendessen. Ich heiße Thomal.«
Megan errötete und nickte. »Danke«, erwiderte sie.
»Das ist das Mindeste, was ich für die Retterin meiner Nation tun kann.«
»Oh, ich glaube, damit geht Ihr doch ein wenig zu weit«, sagte sie. »Vielleicht war es doch nicht mehr als die Stadt.«
Yuran platzte vor Lachen laut heraus, und Megan stimmte ein. Er drohte ihr schelmisch mit dem Finger. »Das ist genau das, was ich so an dir schätze. Du bist ehrlich und hast keine Angst.«
»Ich bin eine stolze Atreskanerin, mein Herr … Thomal. Ich will alles tun, damit unser Land sicher ist.«
»Dann sollte ich vielleicht dich schicken, damit du für mich bei der Advokatur vorsprichst. Diese Del Aglios hört vielleicht eher auf dich als auf mich.« Erst als er es aussprach, wurde ihm bewusst, dass dies gar nicht so abwegig war.
»Wenn Ihr es wünscht«, erwiderte Megan.
»Andererseits würde es mir nicht gefallen, wenn du zu lange nicht in meiner Nähe wärst«, fuhr er beinahe flüsternd fort.
Megan ließ den Kopf sinken, und er war voller Bedauern.
»Es tut mir leid, ich bin zu weit gegangen.«
Doch sie schüttelte den Kopf und sah ihn wieder an. Tränen rollten ihr über die Wangen. »Nein, bist du nicht«, sagte sie. »Es geschieht nur nicht oft, dass die Worte, die man in Träumen hört, tatsächlich ausgesprochen werden, wenn man wach ist.«
Sein Bedauern wich einer grenzenlosen Erleichterung. Glücklich lehnte er sich wieder an und war nicht sicher, was er nun tun sollte.
Er betrachtete sie und bemerkte, dass sie beide wie schwachsinnig grinsten. Bis ein Hämmern an der Tür des Esszimmers den kostbaren Augenblick störte.
»Guter Gott im Himmel, kann man denn keinen Augenblick Frieden haben!«, rief er und knallte die Faust auf den Tisch. »Entschuldige, Megan.«
Er rückte vom Tisch ab, stand auf und winkte einem Diener unwirsch, er möge die Tür öffnen. Ein älterer Adjutant stolperte beinahe über die Schwelle, als er überstürzt eintrat.
»Das sollte jetzt aber wirklich sehr wichtig sein«, knurrte Yuran.
»Das ist es, Marschall.« Er hielt inne und warf einen fragenden Blick zu Megan.
»Sprich. Megan muss es sowieso erfahren, was auch immer es ist.«
Der Adjutant nickte. Yuran runzelte die Stirn. Der Mann schwitzte, und seine Hände zitterten, als hätte er sich körperlich völlig verausgabt.
»Gerüchte machen in der Stadt die Runde«, erklärte er. »Ihr werdet es bald durchs Fenster hören. Es sind Legionen aus dem Kriegsgebiet eingetroffen. Ein völlig chaotischer Haufen.«
»Das haben wir schon öfter erlebt. Deserteure, Flüchtlinge nach einem Rückschlag.« Yuran zuckte mit den Achseln. »Was besagen die Gerüchte denn?«
»Eigentlich sind es gar keine Gerüchte. Ich habe mit einem Soldaten gesprochen.« Der Adjutant holte tief Luft. »Im Osten ist die gesamte Front zusammengebrochen. Die Truppen der Konkordanz wurden geschlagen. Die Tsardonier marschieren nach Atreska.«
»Was?« Yuran konnte nicht glauben, was er gerade gehört hatte.
»Wenn man den Leuten glauben kann, dann sind es etwa fünfzigtausend.«
Yuran setzte sich wieder und hob die Hände. »Ich … was habe ich gesagt? Was habe ich immer wieder gesagt, seit der Feldzug begonnen hat? Sie haben sich zu sehr auf die Fronten verlassen und nichts in Reserve gehalten.« Er schüttelte den Kopf, als ihm bewusst wurde, wie schlimm die Lage war. »Oh guter Gott der Meere, wir sind ohne Verteidigung.« Er wandte sich wieder an den Adjutanten. »Wie lange noch, bis sie hier auftauchen?«
»Die Überlebenden, die bisher eingetroffen sind, kamen alle zu Pferd. Ein Teil der Starken Speere, der Neunten Ala aus Atreska. Sie haben die Fußtruppen weit hinter sich gelassen, aber es ist damit zu rechnen, dass die ersten tsardonischen Kavalleristen höchstens fünf Tage hinter ihnen sind, vielleicht auch nur drei. Die Hauptstreitmacht des Heeres ist in spätestens zehn Tagen zu erwarten.«
»Sie benutzen unsere Straßen«, flüsterte Yuran.
»Die werden das Fortkommen der Feinde sicher erleichtern.« Der Adjutant neigte den Kopf. »Marschallverteidiger, wie lauten Eure
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