Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich

Titel: Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
Vom Netzwerk:
er nur vor seinem reparierten Laden die Laternen an und ging hinein. Die Lampen würden für alle Fälle bis zum nächsten Morgen brennen.
    Er schlurfte in der Werkstatt umher und entzündete Kerzen und weitere Laternen. Da er die Läden den ganzen Tag verschlossen gehalten hatte, war es im Geschäft recht kühl, aber die Hitze des Solas war bis in die Kacheln und die gekalkten Wände vorgedrungen. Es war ein kleines Haus, der Arbeitsraum nahm das ganze Erdgeschoss ein. Über die schmale Treppe waren das Wohn- und Schlafzimmer und die Dachterrasse zu erreichen. Jetzt kam ihm das leere Haus vor wie eine riesige Höhle, jeder Schritt hallte traurig zwischen den fleckigen Wänden.
    Er rieb sich mit den Händen über das Gesicht, was ihn daran erinnerte, dass er sich rasieren musste. Noch so eine Sache, die jetzt so unwichtig schien, genau wie der Genuss beim Essen. Meist hatte er Mühe, sich überhaupt in Bewegung zu setzen und so normal zu leben, wie es eben möglich war, um bereit zu sein, wenn sie wieder nach Hause kamen. Manchmal fiel es ihm sogar schon unendlich schwer, zu baden und seine Kleidung zu waschen.
    Im Hinterhof spürte er die Hitze des Brennofens, den er jeden Abend in Betrieb nahm. Davor lagen die Scherben von viel zu vielen geborstenen Krügen und Vasen. Er löste den Haken der Tür vor der Brennkammer, und die heiße Luft wehte ihm über Gesicht und Arme.
    Dann nahm er zwei Zangen aus den Halterungen und zog den steinernen Träger heraus, hakte die Eisengriffe ein und legte die Platte zum Abkühlen auf den Boden. Kurz betrachtete er die Teller und Becher, um die ihn Kunden gebeten hatten, seufzte angesichts des Bruchs, der ihm zeigte, wie achtlos er den Ton gemischt und wie ungleichmäßig dick die Arbeiten waren, die er zu brennen versucht hatte. Nichts funktionierte mehr so wie es sollte.
    Bis in die frühen Morgenstunden erledigte Han jede Nacht die gleichen Arbeiten. Er musste erschöpft sein, damit die Stimmen ihm nicht den Schlaf raubten. Die Produkte der letzten Nacht hinausbringen, den Brennofen anzünden, an der Töpferscheibe sitzen und neue Aufträge erledigen, und schließlich die gebrannten Arbeiten dekorieren.
    Letzteres brachte ihn besonders oft zum Weinen. Kari war die Künstlerin gewesen, er der Töpfer. Ohne ihre Hilfe wirkten die Vasen, Teller, Krüge und Becher, von deren Verkauf er hauptsächlich lebte, schlicht und klobig. Er war nicht mehr stolz auf sein Werk und war sich irgendwie auch bewusst, dass die Aufträge, die er noch bekam, eher damit zu tun hatten, dass die Leute in Gullford sich lieber im eigenen Ort versorgen wollten. Daran, irgendetwas in Haroq gewinnbringend zu verkaufen, war nicht zu denken.
    Doch der Allwissende Gott war sein Zeuge, er konnte nichts weiter tun. Hoffentlich verstanden sie das. An diesem Abend schlief er über Farben und Glasur ein. Er hatte den ganzen Tag nichts gegessen und ein wenig zu viel Wein getrunken. Die Hitze forderte schließlich ihren Tribut.
    Irgendwann fuhr er abrupt auf, vermochte aber nicht zu sagen, was ihn geweckt hatte. Es war eine warme, feuchte Nacht. Er blickte zu den Sternen hinauf und vermutete, dass bis zur Morgendämmerung noch einige Stunden Zeit blieben. Er hatte leichte Kopfschmerzen und war durstig, aber dies hätte sicher nicht ausgereicht, um ihn so unvermittelt zu wecken. Sein Oberkörper war auf den Tisch gesunken, und er hatte so fest geschlafen wie ein Toter. Er hatte sogar noch den Pinsel in der Hand, die Spitze glänzte rot im Licht der Laternen.
    Er richtete sich auf und streckte sich. Im Norden war am Himmel ein Glühen zu erkennen, dort brannte offenbar ein Feuer. Die Schreie wiederholten sich, und jetzt wusste er, was ihn geweckt hatte und warum es brannte. Diese Angst hatte er schon einmal empfunden, und er konnte sich daran erinnern, als sei es erst gestern gewesen.
    Die Furcht schnürte ihm den Bauch und die Brust zusammen, bis er kaum noch atmen konnte. Wie gelähmt saß er auf dem Stuhl, während die Schritte und Hufschläge lauter wurden und beinahe die panischen Rufe und die erschrockenen Schreie der Menschen übertönten. Es durfte nicht noch einmal geschehen. Sie hatten Gullford bereits alles genommen. Nicht schon wieder, flüsterte er. Gott sei uns gnädig, bitte nicht schon wieder.
    Mühsam stand Han auf. Er zitterte am ganzen Körper, und sein Kopf war leer, wie betäubt, sein Atem ging flach und sehr schnell. Während er sich schwer auf die Stuhllehne stützte, versuchte er sich zu beruhigen.

Weitere Kostenlose Bücher