Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich
wunderschönen wolkenlosen Himmel arbeiteten und Handel trieben, begannen Kessian und die Autorität, das Wirken eines wahren aufgestiegenen Verstandes zu begreifen. Kessian hatte gleich am Morgen nach dem Vorfall im Hof eine Nachricht an den Marschallverteidiger Vasselis geschickt, und ihr Herrscher war bereits von Cirandon unterwegs, um die Fortschritte persönlich in Augenschein zu nehmen. Er brachte seine Frau und seinen Sohn mit, da er beschlossen hatte, im beschaulichen Dorf einen kleinen Urlaub zu verbringen.
Kessian stand hingegen unter einer gewissen Anspannung, da er nicht wusste, ob Mirron ihre Erfahrungen auf eine verständliche Weise weitergeben oder das Ganze wiederholen konnte. Nachdem er noch am Abend Gorians Aufzeichnungen gründlich durchgesehen hatte, war er jedoch sicher, dass sie einen Durchbruch erzielt hatten, genau wie Gorian es geschildert hatte: »Das Erwachen der Fähigkeit wird weder vom Ausübenden noch von den Zeugen übersehen. Es wird so natürlich werden wie das Atmen selbst. Lediglich der Ausdruck braucht seine Zeit.«
Wie sich zeigte, war gar nicht mehr viel Zeit nötig. Nach dem Ruhetag, an dem Gorians Haltung gegenüber seinen Geschwistern sich zu verändern schien, hatte Kessian sie zur Hauptschmiede nördlich des Forums geführt. Das war nicht ganz gefahrlos, da wegen des kommenden Solastro-Fests viele Händler in der Stadt waren, aber sie konnten sich recht gut abschirmen, und dies sollte kein zu großes Problem darstellen. Nur Ossacer war daheim geblieben. Der Schrecken über das Erlebnis saß bei ihm tiefer als bei den anderen, und seine ohnehin schwächliche Konstitution hatte ihn abermals im Stich gelassen. Er hatte ein besorgniserregendes Fieber bekommen.
Bryn Marr, der Schmied von Westfallen, war ein stämmiger, kräftiger Mann in mittleren Jahren, der stets finster dreinzuschauen schien. Er war in jungen Jahren selbst ein Feuerläufer gewesen, hatte in der siebten und achten Linie Kinder gezeugt und sollte in der elften noch einmal Vater werden.
Sein Stammbaum reichte bis tief in die Vergangenheit des Aufstiegs. Er war ein vertrauenswürdiger und hingebungsvoller Diener, wenngleich darüber verbittert, dass in seiner Familie nur flüchtige Begabungen entstanden waren. Dennoch hatten er und Willem Mirron eingewiesen, während sich ihr Talent entwickelte. Mit zehn Jahren war sie ihm schon weit überlegen. Kessian fragte sich, was er jetzt zu ihr sagen würde.
Bryn wartete schon auf sie, die Autorität und die drei jungen Aufgestiegenen. Er hatte rings um das mit Steinen eingefasste Schmiedefeuer so viel Platz wie möglich freigeräumt. Die Werkzeuge steckten in Kisten, Eisenstücke und Stahl waren im umzäunten Hof aufgetürmt. Trotz der offenen Seitenwände war es in der Schmiede sehr heiß, und die Luft war schwer von den Holzkohle- und Torfgerüchen. Kessian musste zugeben, dass er einen Stuhl brauchte, auch Willem und Genna mussten sich setzen.
»Wir sollten es lieber rasch hinter uns bringen«, sagte Bryn barsch, während er seine schmutzigen Hände an einem ebenso schmutzigen Tuch abwischte. »Nicht lange, und wir werden eine Menge Gaffer anlocken.«
Kessian beugte sich auf seinem Stuhl vor und stützte die Hände auf den Knauf des Stocks. »Mirron, bist du bereit, es zu versuchen?«
Sie wartete nervös neben Gorian und Arducius, deren verletzte Arme verbunden waren. Ihr Gesicht war bleich. Zwar hatte sie eingewilligt, den anderen zu erklären, wie sie die Kerzenflammen manipuliert hatte, doch in Wahrheit hätte sie sich am liebsten davor gedrückt. Das normalerweise sehr lebhafte Mädchen war verschüchtert und immer noch schockiert. Kessian begriff, dass sie Angst hatte, weil sie ihre eigenen Kräfte nicht kontrollieren konnte. Er hatte einen ganzen Tag gebraucht, um sie zu überreden, endlich hierherzukommen, und ihr zu erklären, dass ein ganz natürlicher Fortschritt eingetreten sei. Er war immer noch nicht sicher, ob sie ihm wirklich glaubte.
Sie sah ihn an und nickte verzagt.
»Dann tritt vor, gehe nahe an das Feuer heran. Du weißt ja, dass es dir nichts anhaben kann.« Darauf wurde er mit einem kleinen Lächeln belohnt.
Sie näherte sich dem Schmiedeofen, in dem die Holzkohle orangefarben glühte. Hin und wieder sprang eine kleine Flamme empor, deren Rauch durch den Kamin in den klaren Himmel aufstieg. Bryn gab ihr eine riesige Hand, in die sie einschlug.
»Nun, meine hübsche Schülerin, was willst du mir heute zeigen?«, fragte er mit leiser,
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