Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich
lachen.
»Glaubst du, das hätte in späteren Jahren Einfluss auf deine Karriere gehabt?«, fragte sie boshaft.
»Der Inbegriff der Männlichkeit, den du jetzt vor dir siehst, wäre ein fauler, übergewichtiger Lackaffe geworden, der in bunten Kleidern herumläuft und in Phaskar in seinem Palast festsitzt, wie du sehr genau weißt. Mir ist sehr wohl bekannt, dass keines deiner Kinder jemals seinen Vater kennen lernen wird.«
»Ich hätte dich als Gatten angenommen. Ich habe schon immer jüngere Männer bevorzugt.« Sie konnte nicht anders, das kokette Gespräch mit ihm jagte ihr einen wohligen Schauer über den Rücken. Wie schön, einen kleinen Moment lang die Bürde der Staatsmacht abzustreifen und einfach nur eine Frau zu sein.
»Dabei ist dir klar, dass du genau das niemals tun kannst«, erwiderte Jhered, dem ihre Stimmung entgangen war.
»Es kann nicht schaden zu träumen.«
»Ist das denn wirklich dein Wunsch?«, fragte Jhered.
»Würdest du es als Schwäche bewerten, wenn ich Ja sagte?«, gab sie zurück. Ein Ozean der Einsamkeit drohte sich vor ihr aufzutun.
»Es ist keine Schwäche, sich nach Liebe und Nähe zu sehnen. Es ist menschlich, jemanden zu suchen, mit dem man das Leben teilen kann.«
»Aber wir haben uns beide für Wege entschieden, die diesen Wunsch unerfüllbar machen.«
»Wenigstens bis wir in den Ruhestand gehen. Bis dahin können wir nichts weiter tun, als dieses Recht für jeden Bürger der Konkordanz zu schützen.«
Wieder zupfte sie ihn am Arm. »Du solltest mit diesen Bemerkungen lieber im Oratorium auftreten. Nun komm. Es ist schön hier draußen, aber es ist auch kalt, und du bist nicht nur hergekommen, um Artigkeiten mit mir auszutauschen und mir zu erklären, wie wichtig es ist, der Kastration zu entgehen. Trink einen Wein mit mir.«
Sie schlenderten durch die Säulengänge, Herine schaute auf und betrachtete im Vorbeigehen die schöne ionische Schneckenverzierung, die von den Laternen beleuchtet wurde. Oft fragte sie sich, wer hier Hammer und Meißel geführt und diese großartigen Steinmetzarbeiten geschaffen hatte. Sie mochte die kunstvollen und fantasievollen Dekorationen der Säulen. Viele nahmen sie für etwas Selbstverständliches und sahen in ihnen nur das Mauerwerk, das die Dächer stützte.
Sie hatten es nicht weit bis zum warmen privaten Esszimmer. Der Raum war luxuriös möbliert, Gobelins verkleideten die Wände, Läufer bedeckten das Mosaik auf dem Fußboden. Darunter strich die warme Luft summend durch das Fundament. Herine lud Jhered ein, sich auf einer langen, mit Leder bezogenen Liege niederzulassen, die mit Bronzeknöpfen verziert war. Grüne und goldene Daunenkissen lagen darauf. Sie setzte sich auf eine zweite, die im rechten Winkel stand, sodass ihre Köpfe dicht beisammen waren. Als die Dienerin ihnen das erste Glas warmen Gewürzwein eingeschenkt hatte, gab sie dem Mädchen zu verstehen, es könne sich zurückziehen. Die Dienerin schloss hinter sich die Tür. Herine lud ihren Gast mit einem Wink zum Essen ein.
»Fleisch, Brot, ein ausnehmend guter Honig und Kräutersoße. Mein Ältester hat das Rezept vor zehn Jahren von einem Feldzug mitgebracht. Damals war mein Roberto in vieler Hinsicht noch ein kleiner Junge.«
»Heute ist er ein sehr fähiger General«, erwiderte Jhered. »Die Berichte, die ich über ihn aus Tsard bekomme, klingen gut.«
»Ein schwieriger Feldzug«, meinte Herine.
»Das war von Anfang an zu erwarten«, sagte Jhered. »Es ist ein großes und stolzes Land. Zum Kampf entschlossen und unabhängig –«
»Es wird in den kommenden Jahren eine schöne Ergänzung der Konkordanz bilden. Dort gibt es einen sagenhaften Reichtum, außerordentliche Bodenschätze und schwer arbeitende Bürger. Stell es dir nur vor – wenn wir Tsard erobert haben, steht uns auf dem Landweg und dem Seeweg der ganze Osten offen. Welch eine Gelegenheit.«
»Hast du schon über die Ernennung von Konsuln für dieses Gebiet nachgedacht?«, wollte Jhered wissen. »Das wird eine einzigartige Herausforderung.«
»Damit müssen wir den Tsardoniern vor allem zeigen, dass wir sie achten. Ich denke mir, einige Familienmitglieder wären die richtigen Kandidaten.«
»Du bist klug wie immer. Hoffentlich gelingt es dir, die Eifersucht deiner älteren Generäle im Zaum zu halten. Und den Orden.«
Herines Widerspruchsgeist erwachte. »Das ist meine Aufgabe, Paul. Aber nun erzähle mir etwas über die deine. Was beschäftigt dich, dass du unangemeldet
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